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Reisefotografie - Erinnerungen festhalten

Auf Reisen finden sich interessante Motive, gerade abseits der Touristenpfade. Nicht Klischees, sondern das Besondere gilt es zu fotografieren.

Prof. Dr. Herbert Pietschmann ist ein ori­gineller Mensch. Einmal, erzählt der frühere Leiter des Instituts für theoretische Physik, Universität Wien, sei er mit seinen Kindern in Urlaub gefahren. Einfach drauflos, Ziel unbekannt. An jeder Kreuzung hätten sie neu entschieden, ob sie nach links oder rechts weiterfahren. So landeten sie irgendwann in England – und nicht in Italien, was genauso möglich gewesen wäre.

Nicht mehr im Hier und Jetzt

Den Augenblick leben, ganz im Jetzt sein, das ist eine von des Professors Lebensmaximen. Die Reise sei ein großer Spaß und eine wichtige Erfahrung gewesen. Warum wir das in diesem Reisefoto-Beitrag erwähnen? Weil just aus dieser Überzeugung Pietschmann auch nie einen Fotoapparat mit auf Reisen nimmt. Denn würde er die Sehenswürdigkeiten, Menschen oder Landschaften durch den ­Sucher – neuerdings eher: auf dem Display – betrachten und sich überlegen, wie er sein Motiv am besten einfängt, würde er sich ­unweigerlich um das unmittelbare Erlebnis bringen, wäre er gleichsam nicht mehr im Hier und Jetzt.

Fotos gegen das Vergessen

Nun, das ist die Einstellung eines tiefgrün­digen und im Übrigen auch sehr witzigen Menschen, und sie deckt sich nicht unbedingt mit jener der Mehrheit. Gehen wir auf Reisen, packen wir die Kamera so selbst­verständlich mit ein wie das Zahnbürstel. Die Urlaubstage wollen wir im Bild festhalten, diese Auf­nahmen helfen uns später oft genug über den grauen Alltag hinweg. Vielleicht liegt darin überhaupt der Wesenskern und die spezielle Stärke der Fotografie: Sie vermag den Fluss des Lebens an- und in Auf­nahmen festzuhalten.

In Aufnahmen, die ­jederzeit vergangene Ereignisse wieder wach werden lassen können: Schau, das war am Strand in Griechenland! Dort hatten wir die nette Familie Jaschke aus Graz kennengelernt. Wie heiß es damals war! Und wie gut der Ouzo jeden Abend schmeckte! Unser Gedächtnis ist lückenhaft, und Fotografien sind eine große Unterstützung dabei, ihm auf die Sprünge zu helfen und darüber ­hinaus eine wahre Flut von Erinnerungen und Gefühlen auszulösen.

Als die Lichtbildnerei aufkam ...

Als die sogenannte Lichtbildnerei aufkam, vor etwas mehr als 150 Jahren, machten sich bald die Wagemutigeren unter den Foto­grafen auf, in ferne Länder zu reisen und mit Bildern von Landschaften und Sehenswürdigkeiten zurückzukehren, die die Menschen daheim bislang nur vom Hörensagen oder von Zeichnungen kannten. Nun gab es – welche Sensation! – die allem Anschein nach unbestechlichen und wirklichkeitsgetreuen Abbildungen aus fernen Gegenden, vom ­Kolosseum in Rom oder der Pyramide von Sakkara. Die Fotografen mussten damals eine Ausrüstung mit sich schleppen, die in etwa so groß und schwer war wie eine heu­tige Waschmaschine. In der Frühzeit der Foto­grafie hatte die Aufnahme nämlich gleich nach der Belichtung entwickelt zu werden.

Fotos im Vorübergehen

Wir haben es da heute einfacher. Unsere ­Kamera ist so leicht und kompakt, dass sie bequem in eine Jackentasche passt, und so lichtstark, dass es kaum noch Aufnahme­situationen gibt, die nicht zu bewältigen ­wären. Die Belichtungs- und Entfernungs­einstellung übernimmt die Automatik – ohne größeren Aufwand und ohne dass beson­deres Fachwissen nötig wäre, können wir unsere Reisefotos machen. Gewissermaßen ganz nebenbei, im Vorübergehen.

Fotografieren als Meditation

Fotografieren als Meditation

Wir können freilich auch mit Bedacht und größter Überlegung an die Sache heran­gehen. Für manche ist der Urlaub jene willkommene Zeit, da sie endlich mal dazu ­kommen, sich in Ruhe ihrem Hobby, der Fotografie, zu widmen. Der Schuss aus der Hüfte, der interessiert sie nicht. Stattdessen nehmen sie sich alle Zeit der Welt, um das perfekte Bild zu kreieren. Und weniger als perfekt darf es nicht sein!

Geduldig wird die passende Lichtstimmung abgewartet, sorgsam der ideale Kamerastandpunkt gewählt, bedächtig die Brennweite eingestellt, penibel die Schärfentiefe berechnet. Erst wenn alles, wirklich alles stimmt (was je nach Fall einige Minuten, Stunden oder Tage dauern kann), betätigen sie den Auslöser.

Ausnahmezustand lässt sich nicht erzwingen

Diese Fotografen vergessen die Welt um sich herum und haben nur Augen für ihr Motiv. Sie verspüren keine Anstrengung, nur Leichtigkeit. Ihre Arbeit hat etwas Meditatives. Es ist eine Art Ausnahmezustand, der sich freilich nicht erzwingen lässt. Die Chancen, ihn zu erreichen, sind aber in der Regel im Urlaub größer als im Alltag.

Qualität vor Quantität

Wer eine Reise tut, kann bekanntlich etwas erzählen. Das Andere und Fremdartige übt auf den Menschen einen immerwährenden Reiz aus. Die Erzählungen können über Sprache oder Bilder erfolgen (oder über beides). Nur, präsentieren Sie den Daheimgeblie­benen bitte nicht 2000 Urlaubsbilder, mit dieser Menge erschlagen sie sie bloß. Nicht auf die Quantität kommt es an, sondern auf die Qualität. Wer Bilder präsentieren kann, die nicht das wiedergeben, was ohnehin schon jeder kennt, darf beim Betrachter mit einem gesteigerten Interesse rechnen.

Neues finden statt Bekanntes zeigen

Neues finden statt Bekanntes zeigen

Bild: Wenzel MüllerDie besondere Herausforderung liegt nun ­darin, tatsächlich etwas Neues zu zeigen. Denn man mag noch so weit gereist sein – die Kanäle von Venedig oder die Oase in der ­Wüste, die kennen die meisten bereits; wenn nicht aus eigener Anschauung, so aus den ­Medien, die uns mit einer wahren Bilderflut überschwemmen.

Von touristischen Schauplätzen wegbewegen

Bild: Wenzel MüllerVermeiden Sie daher Klischees und haben Sie den Mut, sich von touristischen Schauplätzen wegzubewegen. Gerade in den Seitengassen sind erfahrungsgemäß interessante Entdeckungen zu machen. Was Sie in stillen Hinterhöfen und Werk­arealen finden, sagt meist mehr über ein Land und seine Bevölkerung aus als die offiziellen Attraktionen. Selbst Mülltonnen oder Garagen – gerade alltägliche Dinge dieser Art ­können die Seele eines Landes offenbaren.

Interessante Details einfangen

Bild: Wenzel MüllerEs muss nicht gezeigt werden, dass Venedig im Wasser liegt, das weiß inzwischen jedes Kind. Eine Übersichtsaufnahme wäre also uninteressant, aber vielleicht fällt Ihnen ein interessantes Detail auf, beispielsweise eine markante Farbkombination. Dazu ist es ­freilich notwendig, seine Umgebung mit ­wachen Augen wahrzunehmen. Also ganz im (fotografischen) Hier und Jetzt zu sein.

Respekt ist gefragt

Feinfühligkeit ist vom Reisefotografen gefragt. Nicht nur, weil sich interessante Motive anders kaum entdecken lassen, sondern auch, weil es gilt, die Sitten und Gebräuche in der Fremde zu beachten. Wer sich mit umgehängter Kamera wie eine Art Großwildjäger aufführt, wird insbesondere in ärmeren Ländern nicht gerade angenehm auffallen.

Bevor Sie Einhei­mische fotografieren, bitten Sie um deren Einverständnis, auch dann, wenn sie rein rechtlich dazu nicht verpflichtet wären. Das gebieten Anstand und Respekt! Ein Dankeschön kann niemals schaden, doch denken Sie auch daran, dass die Zeiten vorbei sind, da man Einheimische mit Glasperlen beschenkte ...

Buchtipp: Fotografieren

Die Möglichkeit jederzeit, schnell und einfach Fotos erstellen zu können ruft auch einen Überdruss hervor. Die Flut der vielen beliebigen und nichtssagenden Fotos nährt die Sehnsucht nach dem Besonderen,  nach authentischen Bildern. Weg von der Massenware und hin zum individuellen und unverwechselbaren Ausdruck.

In unserem Buch "Fotografieren statt knipsen"  wollen wir ungewohnte Wege gehen und zusammenbringen, was sonst streng getrennt ist: Fototheorie und Fotopraxis. Es soll – anhand vieler Beispiele – Lust darauf machen, die eigene Kreativität zu entdecken und das Thema Fotografie buchstäblich mit anderen Augen zu sehen.

Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen und Anregungen bieten, die Sie unterstützen zu Ihrem eigenen, ganz persönlichen Ausdruck in der Fotografie zu finden.

www.konsument.at/fotografieren

Aus dem Inhalt

  • Zeichnen mit Licht
  • Schärfe und Unschärfe
  • Flächen, Linien, Perspektive
  • Porträt- und Landschaftsfotografie
  • Architekur- und Sachfotografie

184 Seiten, 19,60 € + Versand

Fotografieren statt knipsen

 

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