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Wirtschaftsbegriffe: Wirtschaftswachstum - Am Ende der Spirale?

Stetiges Wirtschaftswachstum hat positive Effekte, ist aber in manchen Bereichen überbewertet und stößt zunehmend an seine Grenzen.

Wachstum ist gut. Was wächst, das gedeiht, und das galt bislang unhinterfragt auch für die Wirtschaft. Ob und um wie viel die Wertschöpfung einer Volkswirtschaft gewachsen ist, wird meist anhand des Bruttoinlands­produkts (BIP) erhoben. Was darunter genau zu verstehen ist und was alles in diese wirtschaftliche Kennzahl einfließt, haben wir bereits in Wirtschaftsbegriffe: Bruttoinlandsprodukt - Ein Wohlstandsmesser? beschrieben.

Damit von einem Wachstum gesprochen werden kann, muss das BIP logischerweise höher sein als zu Beginn des Vergleichszeitraums. Beispiel: 2014 lag das BIP in Österreich bei rund 330 Milliarden Euro, 2015 waren es 339 Milliarden Euro (gerundet). Das Wirtschaftswachstum in diesem Zeitraum betrug demnach 2,9 Prozent. Das ist allerdings erst das nominelle Wachstum, das noch um die Inflation bereinigt werden muss, die im untersuchten Zeitraum im betreffenden Land herrschte. Wird diese nicht berücksichtigt, würde sich ein verzerrtes Bild vom tatsächlichen Wachstum ergeben (siehe Grafik unten).

Wohlstand und Beschäftigung

Die Wirtschaftsdoktrin vom permanenten Wachstum hat weiten Bevölkerungsteilen der westlichen Welt im Lauf der vergangenen 60 Jahre ein beispielloses Maß an Wohlstand ermöglicht. Und vieles spricht auf den ersten Blick dafür, diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen, denn Stillstand, so haben wir es jahrzehntelang gelernt, bedeutet Rückschritt.

Zu den gewichtigsten Argumenten für Wachstum zählt, dass es das Einkommen und somit den Wohlstand erhöht, denn soll der Konsum pro Einwohner wachsen oder bei steigender Bevölkerungszahl zumindest konstant bleiben, muss mehr produziert werden. Da die Arbeitsproduktivität aufgrund des technologischen Fortschritts ständig steigt, muss auch deshalb die Produktionsmenge immer weiter zunehmen, da sonst Beschäftigte in den Betrieben gekündigt werden müssten und die Arbeitslosenzahlen steigen würden.

Armut verringert, Staatsschulden finanziert

Des Weiteren wird argumentiert, dass Wachstum Verteilungskonflikte entschärfe und Armut verringere, denn selbst wenn die unteren Einkommensschichten nicht so stark von dem größeren Kuchen profitieren würden wie die oberen, so würden dennoch mehr Krümel für sie abfallen, als wenn der Kuchen insgesamt schrumpfte.

Und schließlich wird als weiteres Argument ins Treffen geführt, dass ein reales BIP-Wachstum wegen des progressiven Steuersystems zu überproportional steigenden Steuereinnahmen führe und dies dazu beitrage, die stetig wachsenden Ausgaben des Budgets zu finanzieren und die Last der Staatsschulden zu verringern.

Grafik: Reales Wirtschaftswachstum in Österreich

Infografik & Montage: Caroline Müllner Illustration: PSboom, Sarawut St / Shutterstock.com

(Klick für Großdarstellung)

Sinkende Realeinkommen trotz Wachstum

Es ginge auch anders

Selbst Ökonomen sind sich jedoch über die genannten Vorteile eines steten Wachstums nicht einig. So wird dem entgegengehalten, dass zum Beispiel der Arbeitsmarkt vielen Einflussfaktoren unterliege, von denen das Wachstum nur einer sei, aber nicht zwangsläufig jener, der eine hohe Beschäftigungsquote garantiere. Auch die Auswirkungen auf die Budgeteinnahmen und -ausgaben sind demnach nicht nur vom Wirtschaftswachstum abhängig, sondern ließen sich ebenso durch eine Umgestaltung des Steuersystems entschärfen.

Sinkende Realeinkommen trotz Wachstum

Besonders umstritten ist die Sinnhaftigkeit des Wachstums-Paradigmas hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit. So ist die Schere bei der Einkommensverteilung seit Mitte der 1970er-Jahre in vielen europäischen Ländern trotz beständigen BIP-Wachstums immer stärker aufgegangen. Die Bezieher niedriger Einkommen mussten teils sogar sinkende Realeinkommen in Kauf nehmen, während die oberen Einkommenskategorien stetig dazugewannen.

Wo sind die Grenzen?

Mittlerweile gibt es auch aus vielen anderen Disziplinen der Wissenschaft zahlreiche kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass die bisherige Wachstumsökonomie aus vielerlei Gründen an ihre Grenzen stößt. Zum einen basiert sie auf der unbegrenzten und kostengünstigen Verfügbarkeit von Ressourcen wie etwa Rohstoffen, Energie, aber auch Boden. Doch diese Mittel werden – allen technologischen Fortschritten für energie- und res­sourcenschonendes Produzieren zum Trotz – immer knapper und machen das aktuelle Wohlstandsmodell über kurz oder lang untragbar.

Ökologische Schäden

Zum anderen ist die beständige Ausweitung unseres arbeitsteiligen Industriemodells nicht ohne ökologische Schäden möglich. Fehlende oder zu geringe Kosten für umweltschädigende Unternehmungen wie zum Beispiel aberwitzige Transportwege, Ressourcenabbau, Luft- und Wasserverunreinigung verleiten Unternehmen direkt dazu, systematisch die Umwelt zu verschmutzen. Daher plädieren manche Öko­nomen für eine höhere Besteuerung solcher negativen Auswirkungen.

Mehr bringt nicht mehr

Nicht zuletzt hat auch die Glücksforschung ein gewichtiges Argument gegen beständiges Wachstum als allein seligmachende Lebensperspektive einzubringen: Nach dem Erreichen eines bestimmten Wohlstands­niveaus steigt das subjektive Wohlbefinden und das Glücksgefühl nicht mehr.

Durch die Verkürzung der individuellen Erwerbsarbeitszeit könnte man hingegen gleich mehrere Fliegen mit einem Schlag erlegen: Der generell sehr hohe Stresspegel ließe sich reduzieren, die gefragte Ressource "Zeit" wäre auch für Berufstätige wieder in größerem Ausmaß vorhanden und die Beschäftigungsquote bliebe durch die Verteilung der Erwerbsarbeit auf mehrere Schultern trotzdem hoch.

Alternativen zum Wachstum

Immer mehr Wirtschaftswissenschaftler stellen das Paradigma vom grenzenlosen Wirtschaftswachstum infrage und beschäftigen sich mit Alternativen zum Wachstumsmodell.

Beispiele dafür sind die Degrowth-Bewegung (zu Deutsch etwa "Entwachstum" oder "Wachstumsrücknahme") vor allem in Südeuropa oder die Verfechter der sogenannten Postwachstumsökonomie. Letzterer Begriff wurde vor rund zehn Jahren in die Debatte um Alternativen zum aktuellen Wachstums­credo eingeführt. Der Fokus liegt hier auf

- regionaler Produktion,

- der Instandhaltung von Produkten – vor allem industriell gefertigten –, die sich nicht sub­stituieren lassen,

- Subsistenz, also Produktion und Tausch von Waren und Dienstleistungen durch Gemein­schaften, in Tauschringen oder in Netzwerken der Nachbarschaftshilfe, sowie

- Suffizienz, also einem gewissen Maß an Selbstbeschränkung, Konsumverzicht, aber auch Entschleunigung und dem Vermeiden von Ballast – zum Beispiel, indem auf Flugreisen möglichst verzichtet wird, weniger tierische Produkte konsumiert werden, Einwegverpackungen vermieden und Gebrauchsgüter achtsamer genutzt und so weit wie möglich selbst gepflegt und repariert werden, aber etwa auch durch eine Verkürzung der Arbeitszeit oder die Verwendung von regionalen „Währungen“ und vielem anderen, das zu einer gewissen Entkommerzialisierung beitragen soll. Dies nicht zuletzt deshalb, wie die Postwachstumsvertreter anhand der stark gestiegenen Verschreibungen an Antidepressiva in Deutschland argumentieren, weil die menschliche Psyche mit dem vorherrschenden Zeit-, Konsum- und Wachstumsdruck immer weniger zurande komme.

Interview: Dr. Fred Luks (WU Wien)

Dr. Fred Luks leitet das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er bloggt unter www.fredluks.com.

Dr. Fred Luks
Dr. Fred Luks

Wie stehen Sie zum Thema Wachstum?
Wachstum hat die Industriestaaten reich gemacht. Der Wohlstand, den man heute in Österreich genießt, ist Ergebnis eines historisch gesehen sensationellen Wachstumsprozesses. Umweltprobleme wie der Klimawandel zeigen aber, dass Wachstum auf Kosten der Natur und auf Kosten kommender Generationen gehen kann. Deshalb muss man das Thema "Wachstum" heute anders diskutieren als in der Vergangenheit.

Was würde eine längere Phase ohne Wachstum für die österreichischen Konsumenten bedeuten?
Mindestens eine Stagnation der Konsummöglichkeiten. Ob das zu Wohlstandsverlusten führt, hängt auch von der gesellschaftlichen und politischen Ausgestaltung einer solchen Entwicklung ab. Unter gegebenen Bedingungen sind auch gesamtwirtschaftliche Probleme zu erwarten, zum Beispiel am Arbeitsmarkt.

Welche Alternative(n) dazu sind denkbar?
Es gibt eine sehr interessante Diskussion über die sogenannte Postwachstumsökonomie – also eine Wirtschaftsform, die nicht vom Wachstum abhängt und die ökologische Grenzen respektiert. Das Konzept der Suffizienz, das nach dem "rechten Maß" für Konsum fragt, ist hier relevant. Ob und wie eine wachstumslose Ökonomie gesamtwirtschaftlich gut funktionieren kann, ist umstritten.

Sind wir bzw. ist die Gesetzgebung am richtigen Weg?
Die Diskussion über das "Staatsziel Wachstum" hat gezeigt, wie unterschiedlich die Sichtweisen und Interessen sind, die hier aufeinanderprallen. Unerlässlich sind aus meiner Sicht eine sozial-ökologische Steuerreform sowie konkrete Umsetzungsstrategien mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, zu denen auch Österreich sich bekannt hat.

Gibt es noch zusätzliche relevante Aspekte zu diesem Thema?
Das Verhältnis von Wachstum, Konsum und Lebensqualität wird in der Wissenschaft seit Langem diskutiert. Es wäre gut, diese Diskussion zu "übersetzen", um das Thema nicht nur Fachleuten zu überlassen. Verantwortungsvoller Konsum hängt sicher auch davon ab, sein eigenes Konsumverhalten kritisch reflektieren zu können.

Zusammenfassung

  • Bedeutung. Wachstum heißt, dass die monetär gemessene Wertschöpfung eines Landes gestiegen ist. So wie beim BIP werden aber nicht alle Wirtschafts­- prozesse erfasst. Andererseits tragen auch negative Ereignisse wie etwa Auto­unfälle zum Wachstum bei.
  • Sinnvoll. Stetiges Wachstum sorgt ganz allgemein betrachtet für steigenden Wohlstand und Beschäftigung und er­leichtert die Finanzierung des Sozialstaats.
  • Aber nicht grenzenlos. Den positiven Effekten stehen viele negative gegenüber, allen voran der Raubbau an den welt­weiten Ressourcen, aber auch die Einschränkungen, die etwa im Bereich der gerechten Wohlstandsverteilung für den Einzelnen schlagend werden.

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