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VOR neu: Reform mit Tariferhöhungen - Verkehrsverbund Ost-Region

, aktualisiert am

Preiserhöhungen um 20, um 50, ja sogar 75 Prozent - die Tarifreform des Verkehrsverbund Ost-Region VOR, die mit 6. Juli 2016 in Kraft getreten ist, ist zu einem Marketing-Desaster geraten. Und zu einem Beispiel, wie die Leistung einer umfassenden Tarifreform durch unkorrigierte preisliche "Ausreißer" völlig in den Schatten gestellt werden kann.

Die Jahreskarte Auersthal nach Wien Floridsdorf um 75 Prozent teurer, die Wochenkarte St.Pölten nach Kirchstetten um 57 Prozent teurer, die Jahreskarte Mödling nach Wien Meidling (ohne Kernzone Wien) um 30 Prozent teurer, die Jahreskarte Wilfleinsdorf (Bruck/Leitha) nach Wien-Hauptbahnhof (ohne Kernzone Wien) um 25 Prozent teurer, die Jahreskarte Eggenburg nach Absdorf-Hippersdorf um 19 Prozent teurer, Purkersdorf Zentrum nach St. Pölten 15 Prozent teurer, die Einzelfahrkarte Leobendorf nach Wien 20./21. kostet jetzt 5,50 statt bisher 2,20 Euro ...

Geballter Unmut

Beim Lesen der Flut an Beschwerde-E-Mails und des geballten Unmuts, der mit der Tarifreform des VOR Verkehrsverbund Ost-Region ab 6. Juli 2016 auch das E-Mail-Fach der KONSUMENT-Redaktion füllte, könnte man glauben, im VOR feiert eine moderne Form des Raubrittertums fröhliche Urständ'.

Wo es billiger wurde

Dass auf den meisten Strecken die Preise im Wesentlichen gleich blieben und auf einigen sanken, ging im nachvollziehbaren Aufschrei der Opfer der Verteuerung praktisch unter. So zahlen beispielsweise Pendler aus dem Waldviertel, etwa von Horn nach Wien etwas weniger, von Perchtoldsdorf, Purkersdorf und Klosterneuburg nach Wien (inklusive Kernzone Wien) wurde es um 23 Prozent billiger, von Neulengbach nach St.Pölten (inklusive Stadtverkehr St.Pölten) um 17 Prozent, von Wulkaprodersdorf nach Eisenstadt um 12 Prozent, von Baden nach Wien um 9 Prozent.

Super-Verkehrsverbund Ost

Was war geschehen? Mit 6. Juli 2016 wurden die beiden Verkehrsverbünde im Osten Österreichs (Burgenland, Niederösterreich, Wien) - Verkehrsverbund Ost-Region VOR und Verkehrsverbund Niederösterreich-Burgenland VVNB – zu einem Super-Verkehrsverbund zusammengelegt, der mehr als ein Viertel der Fläche Österreichs sowie etwa 900 Linien und 11.500 Haltestellen umfasst. Gleichzeitig trat ein neues Tarifsystem in Kraft, das den bisherigen VOR-Zonentarif und VVNB-Wabentarif ersetzt.

Das alte, vor über 30 Jahren eingeführte System war geprägt von unterschiedlich großen VOR-Zonen und Ausnahmeregelungen, wie Überlappungsbereiche, Stichlinien, neutralen Zonen, die preisliche Härten ausglichen und auch von unterschiedlichen Preisen, je nachdem, ob Bahn oder Bus benutzt wurden. Das ergab mitunter sehr unterschiedliche Preise für gleich lange Strecken.

Neues Tarifsystem produziert Härtefälle

Das wurde jetzt abgeschafft. Jetzt gilt ein Streckentarif, in dem im Wesentlichen die gefahrene Strecke von A nach B den Preis bestimmt. Das neue System mag für sich betrachtet jetzt - auch preislich - schlüssiger sein.
Von einem umfassenden, einfachen und auch fairen Tarifsystem, wie der VOR schreibt, könnte man sprechen, wenn es keine über 30-jährige Vor-(VOR)-Geschichte gäbe. Und damit zahlreiche langjährige Stammkunden, die plötzlich extrem mehr zahlen müssen.

Keine Einschleifregelungen

War man bei Einführung des "VOR alt" bemüht Härtefälle durch verschiedene Begleitregeln zu mildern und hat damit Ungleichheiten in Kauf genommen, so schert der neue Tarif jetzt alle über den gleichen Tarif-Kamm, ohne Rücksicht auf bisher bezahlte Preise und schafft so Härtefälle extremer Verteuerung um 20, 50, 70 Prozent ohne sie durch langfristige Einschleifregelungen adäquat abzupuffern.

Da hilft auch kein Argumentieren mit dem Wegfallen von "Ausnahmeregelungen" – niemand empfindet etwas, was über dreißig Jahre Teil des Regeltarifs war, als Ausnahme.

Transparent, einfach und fair?

Transparent, einfach und fair?

Der VOR weist Kritik zurück: Einzelne Verbindungen seien zwar tatsächlich teurer geworden. Ihnen stünden allerdings andere Strecken gegenüber, die nun günstiger werden. Doch was hilft mir das, wenn ich gerade an einer Pendelstrecke wohne, die empfindlich teurer geworden ist – soll ich übersiedeln?

Der VOR wirbt jetzt damit, das neue Tarifsystem wäre transparent – das war das alte, mit seinen Zonen, die man abzählen konnte, auch. Und es wäre fair, weil es nun alle gleich behandle. Was soll daran fair sein, wenn ich von einem Tag auf den anderen für die gleiche Leistung (mein Ticket) viel mehr zahlen muss – das kann ich nur als dreiste Willkür erleben.

Zusatzleistungen die keiner braucht?

Vollends verliert sich der VOR in der eigenen Logik, die nicht die seiner Kunden ist, wenn er Verteuerungen mit von keinem bestellten Zusatzangeboten versucht klein zu reden, wie etwa "bitte beachten Sie, dass im neuen Tarif der Stadtverkehr St. Pölten automatisch inkludiert ist", oder "dass Ihnen mit diesem Ticket jetzt in Wien das gesamte S-Bahn-Netz und das Regionalbusnetz des VOR in Wien zur Verfügung steht". Und dass nun ein "persönliches Netz" – diverse Streckenvarianten auf der gewählten Strecke von A nach B – kostenlos inkludiert sei. Da verwundert es nicht, dass so "getröstete" Kunden dieser Logik folgend zur Schlussfolgerung und zum Vorwurf kommen: "Ihre Kunden subventionieren damit in Zukunft Bus- und Bahnverbindungen, aus denen die meisten keinen Nutzen ziehen."

Vor der Statistik und dem VOR sind alle gleich

Laut VOR "bleibt im neuen Tarif bei etwa 80 Prozent aller Strecken der Preis gleich, bei 10 Prozentkommt es zu Verbilligungen und bei 10 Prozent zu Verteuerungen". Die landespolitische Vorgabe für die Tarifreform war, dass die Gesamt-Einnahmen des VOR (2015: 611 Millionen) gleich bleiben müssen. Das wurde auch umgesetzt. Doch zu argumentieren, dass die Umstellung für den Verkehrsverbund einkommensneutral sei und damit "das Preisniveau unterm Strich gleich“ bleibe und es daher "eine Preiserhöhung nicht gebe", kann der von einer massiven Teuerung betroffene Fahrgast, nur als Verhöhnung empfinden.

Nachbessern und abfedern

Unerklärlich bleibt, warum der VOR als Dienstleistungsunternehmen bei dem die Zufriedenheit des Fahrgastes im Mittelpunkt stehen sollte, bei einer so grundlegenden Tarifreform diese Härtefälle nicht langfristig abfedert. Das wäre sogar einkommensneutral möglich gewesen, wenn im Gegenzug auch die Verbilligungen langfristig in kleinen Schritten gemacht worden wären, was niemand gestört hätte.

Tatsächlich bietet der VOR eine finanzielle Übergangsregelung bei Jahreskarten und nur für zwei Jahre, und da nur Jahreskarten-Stammkunden, die zum Zeitpunkt der Tarifumstellung eine Jahreskarte besessen haben und die eine neue Karte mit August oder September lösen. Und auch da nur, wenn die Preiserhöhung 120 Euro übersteigt. Also 120 Euro-Preiserhöhung muss der betroffene Fahrgast in jedem Fall selber "schlucken". Den Mehrpreis, der darüber hinausgeht, erlässt der VOR im ersten Jahr zur Gänze. Im zweiten Jahr zu 50 Prozent. Wohlgemerkt nur bei Jahreskarten. Ab dem dritten Jahr ist der volle neue Preis zu berappen.

Um diese Übergangsregelung in Inanspruchnahme zu nehmen, muss ein Abfederungs-Formular (verfügbar ab September 2016) ausgefüllt an den VOR übermittelt werden. Der Abfederungsbetrag wird bei Laufzeitende des Jahreskartenvertrages bzw. bei vorzeitiger Kündigung (aliquot) ausbezahlt.

Neuerungen im Detail

Streckentarif statt Zonentarif

Der Tarif wird jetzt nicht mehr durch Abzählen der durchfahrenen Zonen berechnet, sondern nach der Länge der Strecke zwischen Startpunkt A und Zielpunkt B. Der Geltungsbereich von Wochen-, Monats- oder Jahreskarte umfasst neben der "geraden Linie" noch ein "persönliches Netzes", das mit der Karte auch genützt werden kann, das das System aus den zusätzlich möglichen Linien zwischen A und B generiert und das auf der VOR-Website bei Eingabe von Start- und Zielpunkt auf einer Landkarte anzeigt wird.

Dieses persönliche Netz kann durch die Eingabe eines Zwischenzieles auch noch individuell variiert werden. Wie Tüftler rasch herausgefunden haben, lässt sich durch Jonglieren mit solchen Zwischenzielen das Preis-Leistungsverhältnis mitunter ein wenig verbessern und ein billigerer Ticketpreis, mehr Strecken zum gleichen Preis erzielen.

Sonderregel Regionalverkehr

Ganz ohne Sonderregelungen geht es auch im neuen Tarifsystem nicht. Da die Kernzone Wien wie gehabt bestehen bleibt, wurde bei Zeitkarten die Variante "Regionalverkehr" erfunden. Damit jemand, der nach Wien fährt, nicht teuer die ganze Kernzone dazukaufen muss, auch wenn er sie gar nicht braucht, kann er nun billiger ein Ticket Wien Regionalverkehr mit Quasi-Stichstrecke zum konkreten Ziel in Wien kaufen.

Ticketpreise und Stadtverkehre

Für die gewünschte Strecke werden aus den im Fahrplan angebotenen Verbindungen durch die Verkaufsgeräte und die VOR-Preisauskunft auf www.vor.at "automatisch" die verfügbaren Tickets samt Preise, aus denen ausgewählt werden kann, errechnet und angeboten. Erhältlich sind die neuen VOR-Tickets bei den bisherigen Verkaufsstellen: in vielen Verkehrsmitteln, am Schalter, online und am Automat. Beliebig verwendbare Vorverkaufskarten wie die Zonenstreifenkarte gibt es nicht mehr. Wer noch Zonen-Streifenkarten hat, erhält vom VOR bei Rückgabe das Geld zurück.

Stadtverkehre in den Städten im Bereich des bisherigen VVNB (Verkehrsverbund Niederösterreich-Burgenland) sind nunmehr in den entsprechenden Streckenkarten inkludiert und müssen nicht mehr extra gekauft werden.

Neu: Tageskarten und Seniorentickets

Neu im VOR-Ticketsortiment sind Tageskarten sowie Senioren- und Behindertenermäßigungen bei Einzelfahrscheinen und Tageskarten. Allerdings keine speziellen Wochen-, Monats- oder Jahreskarten für Senioren – diese seien ohnehin generell bereits sehr günstig, so der VOR.

Besitzern gültiger Zeitkarten nach altem Tarif ist es ab 1. August 2016 möglich, diese umzutauschen und sofort auf das neue Tarifsystem umzusteigen. Was vereinzelt, auf Strecken auf denen die Tickets billiger geworden sind, sinnvoll sein kann.

Jahreskarte nicht mehr übertragbar

Mit der Zusammenlegung der beiden Verkehrsverbünde fiel auch die Möglichkeit einer übertragbaren Jahreskarte weg, die es im VVNB gab (dort konnte man wählen zwischen übertragbar und damit kein Ersatz im Verlustfall oder personalisiert und Ersatz im Verlustfall). Das bedeutet eine Einschränkung der Nutzbarkeit von Jahreskarten, besonders in Zeiten wo untypische und Teilzeit-Arbeitsverhältnisse zunehmen und flexible Zeitkarten (die abwechselnd von verschiedenen Person genutzt werden können) die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs attraktiver machen. Wochen und Monatskarten sind im VOR übertragbar.

Leserreaktionen

Zurück zum Auto?

Wir (Pensionistenehepaar: 68, 70) haben bisher für die Strecke Loosdorf – Wien 7,60 Euro bei freier Zugwahl bezahlt. Jetzt kostet das 10 Euro für einen ganz bestimmten Zug. Wir fahren regelmäßig nach Wien zu Arztbesuchen, Treffen mit Freunden etc. Eine Rückfahrkarte zu lösen ist wegen der Zugbindung nicht mehr möglich. Nicht immer ist absehbar, wann wir zurückfahren werden.

Wollen wir Flexibilität, müssen wir ein First-Class-Ticket kaufen (für 11,50 Euro) obwohl es auf dieser Strecke bei vielen Zügen keine 1. Klasse (oder bei manchen bestenfalls bis St. Pölten) gibt. Die neue App ist kompliziert und langsam. Beim Bezahlvorgang wird der Kontakt kommentarlos beendet und man ist darauf angewiesen, auf eine Mail der ÖBB zu warten, die dann den Zugriff zum Ticket erlaubt. Zeit, wieder reumütig zum Auto zurückzukehren.

User "norbertnullo"
(aus KONSUMENT 10/2016)

Kurios

Sehen Sie ein Beispiel für die „tolle“ Tarifreform im VOR: Kostete eine Fahrt mit dem Postbus von Velm/Himberg zum Reumannplatz bisher 2,20 €, so verlangt man nun seitens VOR das Doppelte. Argumentiert wird das damit, dass man ab Rustenfeld (Stadtgrenze NÖ/Wien) ein Öffi in Wien verwendet! Das ist insofern kurios, als der gleiche Postbus bisher auf der selben Strecke auch auf Wiener Stadtgebiet gefahren ist, man aber bisher kein (unnötiges) Ticket für Wien lösen musste, wenn man am Reumannplatz nicht weiterfährt.

Vielleicht können Sie dieses Beispiel verwenden. Ich denke, Sie haben schon viele andere, die ebenfalls diese „Reform“ betreffen. Ich sehe das eher als Abzocke!

Norbert Dimpfl
E-Mail
(aus KONSUMENT 9/2016)

Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag VOR neu: Reform mit Tariferhöhungen - Verkehrsverbund Ost-Region.

Die Redaktion

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