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Multivitaminpräparate - Überflüssig

Vitaminpräparate sind ein Verkaufsschlager in Apotheken und Drogerien, sinnvoll ist ihre Einnahme allerdings selten.

In Apotheken und Drogerien kommt man kaum an ihnen vorbei. Vitaminpräparate werden zuhauf in Form von Brausetabletten, Kapseln, Dragees oder Sirup angeboten. Liest der Kunde die Werbebotschaften, beschleicht ihn das Gefühl, ein normales Leben sei ohne Einnahme derartiger Nahrungsergänzungsmittel kaum möglich. Auch an sich gesunde Menschen werden zur Einnahme animiert, nach dem Motto: „Besser gesünder als gesund“. Egal ob Kleinkinder, Schüler, Berufstätige oder Pensionisten – jeder, so wird suggeriert, ist dringend auf die zusätzliche Einnahme von künstlichen Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen angewiesen. Sei es nun, um leistungsfähig zu bleiben, um die Widerstandskraft zu steigern oder um eine gute Entwicklung fürs Leben zu nehmen.

 

Der Markt boomt

 

Und die Slogans scheinen auf fruchtbaren Boden zu fallen, denn der Markt für Vitaminpräparate, insbesondere für Multivitaminpräparate mit Mineralstoffen und Spurenelementen, boomt. Präparate wie Centrum, Supradyn oder Geriatric Pharmaton zählen in Apotheken zu den Verkaufsschlagern. Bei der Erhebung zum Österreichischen Ernährungsbericht gaben 39 Prozent der befragten Erwachsenen an, regelmäßig Nahrungsergänzungspräparate zu schlucken. Und paradoxerweise nehmen gerade jene Menschen am meisten ein, die sich ohnehin gesundheitsbewusst ernähren.

 

Apotheken- und Drogeriepräparate

 

Wir haben uns eine kleine Auswahl an Produkten aus der riesigen Angebotspalette etwas näher angesehen. Darunter rezeptfreie Multivitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementpräparate, die als Arzneimittel zugelassen sind, sowie einige ausschließlich über Apotheken vertriebene Nahrungsergänzungsmittel und einige wenige Nahrungsergänzungsmittel aus Drogeriemärkten. Ähnliche Präparate sind auch im Lebensmittelhandel sowie über Direktvertriebssysteme und im Internet erhältlich. 

Keine wissenschaftliche Beweise

Für jeden etwas dabei

 

Die Hersteller und Anbieter lassen praktisch keinen Aspekt und keinen Lebenszustand aus, um ihre Produkte dem Konsumenten wärmstens zu empfehlen. Die Präparate eignen sich angeblich für ältere Menschen, Schwangere und Stillende, bei Diäten, bei intensivem körperlichen Training, für Gestresste, Raucher und Alkoholiker. Berocca plus Zink zum Beispiel soll den Aufbau von Nervenzellen unterstützen, die Abwehrkraft gegen Infektionskrankheiten steigern und bei der Schadstoffausscheidung nützlich sein. Dieselben und noch weitere Anwendungsgebiete finden sich auch in den Beipacktexten anderer Präparate. Es gibt eigene Mittel für Kinder (Sanostol, Supradyn Junior), für Schwangere (Elevit, Prägnativ) und für Senioren (Supradyn Vital 50 plus).

 

Aus der Luft gegriffen

 

Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Behauptungen vielfach aus der Luft gegriffen sind. Vor allem den Vitaminen werden viele Eigenschaften zugeschrieben, die sie nicht aufweisen. Vitamine sind nicht dazu geeignet, Menschen stressresistent oder leistungsfähiger zu machen, sie können auch nicht dafür sorgen, dass Kinder intelligenter werden, verhindern weder Erkältungen noch Krebs, machen nicht munter und können auch den Alterungsprozess nicht verlangsamen.

 

Überlieferung und Erfahrung

 

Die Hersteller wissen um die fehlenden wissenschaftlichen Beweise ihrer Behauptungen und geben dies – liest man die Packungsbeilagen etwas genauer – sogar unverblümt zu. So heißt es etwa in der Gebrauchsinformation des noch dazu rezeptpflichtigen Präparates Vita-Gerin Geistlich: „Vita-Gerin ‚Geistlich’ wird traditionell angewendet zu Besserung des Allgemeinbefindens (z.B. bei nachlassender körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit oder bei Erschöpfungszuständen). Diese Angaben beruhen ausschließlich auf Überlieferung und Erfahrung.“

Ausgewogene Ernährung

Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente

 

Von Überliefertem und Erfahrenem zurück zu den Tatsachen: Erwiesen ist, dass Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente essenziell sind, vom Körper (bis auf wenige Ausnahmen bei den Vitaminen) nicht selbst gebildet werden können und daher mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Eine Unterversorgung mit Vitaminen kann sich zwar in Müdigkeit, depressiver Verstimmung und Konzentrationsstörungen äußern, es lässt sich jedoch nur selten feststellen, ob derartigen Befindlichkeitsstörungen ein Vitaminmangel oder andere Ursachen zugrunde liegen. Jeder einzelne Nährstoff muss in ausreichender Menge vorhanden sein. Fehlt eine wichtige Substanz, kann das nicht durch den Überschuss einer anderen ausgeglichen werden. Schaut man sich die Zutatenliste der einzelnen Mittel an, stößt man auf eine nicht nachvollziehbare Mischung verschiedenster Stoffe, die sich rein an der Verfügbarkeit der Substanzen und den Vermarktungschancen des Produktes zu orientieren scheint.

 

Ausgewogene Ernährung entscheidend

 

Eine ausgewogene Ernährung, die reich an Gemüse, Obst und Vollkorngetreide ist, und ein bewusster Konsum von Fett liefert gesunden Menschen so gut wie alle notwendigen Nährstoffe in ausreichender Menge. Ausnahmen bilden etwa Jod, das deshalb dem Speisesalz zugesetzt wird, oder Folsäure. Frauen mit Kinderwunsch sollten einen Folsäuremangel in Absprache mit dem Arzt über die Einnahme von entsprechenden Präparaten ausgleichen. Sinnvoll kann eine Nahrungsergänzung darüber hinaus für Hochleistungssportler, Raucher, Personen mit hohem Alkoholkonsum oder etwa Senioren sein, die sich einseitig bzw. unzureichend ernähren. Aber auch in diesen Fällen sollte die Anwendung ausschließlich auf ärztliche Anweisung hin erfolgen.

Überflüssige Warengruppe

Positive Wirkung nicht nachweisbar

 

Für alle anderen Personen ist es unsinnig, regelmäßig oder in Belastungssituationen auf Multivitaminpräparate zurückzugreifen. Eine positive Wirkung ist nicht nachweisbar. Allen wissenschaftlichen Grundlagen zum Trotz hält sich dennoch hartnäckig eine Art Volksglaube. Vor allem Vitamin-C-Präparate werden nach dem Motto „Viel hilft viel“ in großen Mengen verzehrt, obwohl in den bislang am Menschen ausgeführten epidemiologischen Interventionsstudien auch bei Anwendung hoher Dosen keine eigenständige Schutzwirkung nachgewiesen werden konnte. Es fehlen Beweise, die eine Empfehlung für die erhöhte Vitamin-C-Zufuhr rechtfertigen.

 

Auf Dosierung achten

 

Im Gegenteil: Die Verfasser des Österreichischen Ernährungsberichts sehen zwar durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln keine akute Gefahr einer Überdosierung von Nährstoffen, (etwa Vitaminen), allerdings mahnen die sie, die Gesamtzufuhr unter Berücksichtigung der verzehrten Lebensmittel zu überwachen. Bei hochdosierten Präparaten können nämlich durchaus kritische Mengen überschritten werden, verbunden mit gesundheitlichen Konsequenzen. Zu nennen sind hier etwa die fettlöslichen Vitamine A, D und E.

 

Überflüssige Warengruppe

 

Fazit: Sparen Sie sich das Geld. Multivitaminpräparate stellen eine größtenteils überflüssige Warengruppe dar. Treten aufgrund bestimmter Erkrankungen oder der Einnahme bestimmter Arzneimittel Nährstoffmangelerkrankungen auf, so ist eine gezielte Zufuhr dieser Nährstoffe unter ärztlicher Aufsicht erforderlich.

Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente


Vitamine sind organische Verbindungen, die der Organismus für lebenswichtige Funktionen benötigt. Die meisten kann er jedoch nicht selbst herstellen. Sie müssen deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden. Grundsätzlich wird zwischen wasser- und fettlöslichen Vitaminen unterschieden. Wasserlösliche Vitamine (Vitamin C bzw. B-Komplex) werden im Körper kaum gespeichert, daher ist eine kontinuierliche Zufuhr erforderlich. Fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) können im Körper gespeichert werden, eine kontinuierliche Zuführung ist somit nicht notwendig. Eine Überdosierung kann die Gesundheit gefährden.

Mineralstoffe sind im weitesten Sinn alle anorganischen Stoffe, die auf natürlichem Weg in der Erdkruste entstanden sind. Viele Mineralstoffe sind lebensnotwendig (essenzielle Mineralstoffe) und müssen in größeren Mengen (Makroelemente) aufgenommen werden. Zu den Makroelementen zählen Kalzium, Kalium, Natrium, Magnesium, Phosphor, Schwefel und Chlor. Mineralien werden größtenteils auf natürlichem Weg (Kot, Harn, Schweiß) wieder ausgeschieden.

Spurenelemente (Mikroelemente) werden vom Organismus nur in geringen Mengen benötigt. Als essenziell für Mensch und Tier sind bislang erkannt: Eisen, Jod, Kupfer, Mangan, Zink, Kobalt, Molybdän, Selen, Vanadium, Nickel, Chrom, Zinn, Fluor und Silicium.

Schädliche Vitamine

Heilsversprechen der Hersteller zur Einnahme hoch dosierter Vitaminpräparate sind skeptisch zu beurteilen.

Entgegen den Werbebotschaften kommen jüngere wissenschaftliche Studien zu dem Schluss, dass Vitaminpräparate weder Krebs- noch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder den Nebenwirkungen einer Krebstherapie vorbeugen.

Vitamin E und C

So zeigte eine Untersuchung an 35.000 gesunden Männern, dass Nahrungsergänzung mit Vitamin E und C sowie Selen keinen Einfluss auf das Auftreten von Krebserkrankungen (insbesondere Prostatakarzinom) hat. Zum gleichen Schluss kommt eine weitere große Studie. Durch die Einnahme von Vitamin C und E ergibt sich auch keine Minderung des Risikos für Herzinfarkte.

Studie vorzeitig abgebrochen

Es drohen vielmehr sogar gesundheitsschädliche Konsequenzen: Eine Studie wurde vorzeitig abgebrochen, weil es bei Einnahme von Vitamin E zu einer erhöhten Rate an Schlaganfällen aufgrund einer Blutung im Gehirn (hämorrhagischer Insult) kam.

Orthomolekulare Medizin

Unter diesen Gesichtspunkten ist auch von der Einnahme von Präparaten aus der sogenannten orthomolekularen Medizin dringend abzuraten. Sie empfiehlt im Regelfall eine wesentlich höhere tägliche Zufuhr an Vitaminen und Mineralstoffen als naturwissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse es rechtfertigen.

Zusammenfassung

Multivitaminpräparate: Kompetent mit "Konsument"
  • Ernährung. Multivitaminpräparate sind überflüssig. Der Nährstoffbedarf kann mit ausgewogener Ernährung leicht abgedeckt werden.
  • Mangelerscheinungen. Bei Mangelerscheinungen sollte eine Nahrungsergänzung immer in Absprache mit dem Arzt erfolgen.
  • Krankheitsvorbeugung. Lassen Sie sich nicht von der Werbung für Multivitaminpräparate beeinflussen. Diese arbeitet in der Regel mit unbewiesenen Behauptungen. Ein wirklicher Beweis, dass derartige Präparate Krankheiten vorbeugen, konnte bislang wissenschaftlich nicht erbracht werden.

Leserreaktionen

Nicht erwiesen 

Nicht nur in diesem Artikel verwenden Sie „wissenschaftlich nicht erwiesen“ – in verschiedenen Formulierungen – als Knockout-Argument gegen von Ihnen getestete Produkte. Das heißt also, nicht unbedingt das getestete Produkt (oder was immer) ist schuld, dass ein Beweis für seinen Nutzen nicht erbracht werden konnte. Es kann durchaus daran liegen, dass wir die dafür passenden Prüfungsmethoden (noch?) nicht kennen.

Ingrid Lavee
Wien

Wir bedauern, dass Sie den Hinweis „wissenschaftlich nicht erwiesen“ als K.o.-Argument empfinden. Wir müssen uns jedoch an überprüfbare Fakten halten, weil wir sonst angreifbar wären. Gerade Multivitaminpräparate sind aber wissenschaftlich sehr gut erforscht. Wenn unabhängige Wissenschaftler zum Schluss kommen, dass gesunde Menschen solche Präparate nicht benötigen, sehen wir keinen Grund, diese Information unseren Leserinnen und Lesern vorzuenthalten. Obst und Gemüse haben gegenüber Vitaminpillen den Vorteil, dass man mit ihnen weitere für den Organismus wichtige sekundäre Pflanzeninhaltstoffe aufnimmt und damit seiner Gesundheit etwas Gutes tut – aber die Pharmaindustrie macht kein Geschäft.

Die Redaktion
(aus Konsument 02/2010)

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