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Bonitätsbewertung online - Kredit dank vollem Akku

Im digitalen Zeitalter können Facebook-Likes, der Akkustand des Handys oder das Beherrschen der Rechtschreibung unsere Bonität beeinflussen.

Hans Novacek ist unzuverlässig. Seine Handy­rechnung bezahlt er häufig zu spät, seine neue Waschmaschine stottert er in Raten ab. Weil er an seiner jeweiligen Wohnung ständig etwas auszusetzen hat, zieht er immer wieder um. Und letzthin hat ihm seine Hausbank das Konto gekündigt.

Auf den Listen der Gläubigerschutzverbände steht Herr Novacek ganz unten. Sein so­genannter Bonitäts-Score ist nicht hoch genug. Entsprechend schwer bekommt er einen Kredit, und Händler wollen ihm Waren nur gegen Vorauskasse liefern.

Kreditschutzverband

"Kreditinformationsunternehmen" oder, allgemeiner formuliert, "Wirtschaftsauskunfteien" sollen Banken und anderen Unternehmen helfen, zahlungsunfähige oder eines Kredites nicht würdige Kunden als solche zu erkennen. Zu den bekanntesten in Österreich zählt der Kreditschutzverband von 1870 (KSV).

In Deutschland zittern Bürger vor einem schlechten Wert bei der SCHUFA. Daneben verfügen Banken, Händler und andere Unternehmen über eigene Rechensysteme, Tabellen und Listen, in denen Kunden in Sachen Zahlungsfähigkeit bewertet und für gut oder schlecht befunden werden.

Alle Daten sind Kreditwürdigkeitsdaten

Ausgehend von diesem Bewertungsgedanken treibt eine Sparte in der digitalen Industrie in den letzten Jahren die seltsamsten Blüten. Es fließen nicht mehr nur die üblichen Finanzdaten in die Bewertung der Kreditwürdigkeit mit ein. Was auf den ersten Blick vollkommen belanglos erscheint, kann in der Big-Data-Ära eine Rolle dabei spielen, ob jemandem Geld geliehen wird oder nicht. Oder, wie es Douglas Merrill formuliert hat: "Alle Daten sind Kreditwürdigkeitsdaten."

Daten sammeln wo es nur geht

Merrill war früher Chief Information Officer bei Google. Dann hatte er eine Idee, wie sich Datenberge nutzen lassen, um Kreditausfallrisiken zu kalkulieren. Er erfand eine neue Methode, die helfen soll, hierzulande eher unübliche, hoch verzinste Kurzzeitkredite besonders günstig anbieten zu können. Das Start-up Zest Finance war geboren. Seitdem sammelt das Unternehmen Daten, wo es nur kann: Einträge auf Facebook, Infos darüber, wie oft eine Person in der Ausbildungszeit und danach übersiedelt ist, wohin sie gezogen ist und wie sie ihr Smartphone nutzt.

Wie schnell können Sie lesen?

Auch Daten von Dritten werden zugekauft. Außerdem werden Beobachtungen gemacht – etwa, wie Menschen Antragsformulare ausfüllen und wie lange sie brauchen, um sie zu lesen; ob sie einen Blick auf die Geschäftsbedingungen werfen und wie es um ihre Rechtschreibung bestellt ist. Bis zu 10.000 Datenpunkte werden pro Kreditantrag verarbeitet. Je mehr Daten es sind, umso besser, wie Merrill dazu einmal erklärte.

Zwar sind die Zinsen für die vergebenen Kredite bei Zest Finance weit nied­riger als bei den herkömmlichen "Kredithaien", von einem guten Deal kann aber trotzdem nicht die Rede sein. Beispielsweise werden für 500 geliehene Dollar nach 22 Wochen 900 Dollar zurück­gefordert.


ECC: Co-funded by the European Union

Dieser Artikel wurde aus den Mitteln des Verbraucherprogramms der Europäischen Union (2014 – 2020) gefördert.

Facebook als Bonitätsprüfer

Sippenhaftung

Es wird jedenfalls deutlich, welche Kleinigkeiten bei der Entscheidung über eine Kreditvergabe mit einfließen. Wer einmal zu oft umgezogen ist, der könnte von den Algorithmen schnell als unstet und damit als weniger vertrauenswürdig eingestuft werden.

Wer in einem Stadtviertel wohnt, das für seine ethnische Vielfalt bekannt ist, nicht aber für den Wohlstand der Bewohner, der wird vom Computer in Sippenhaftung genommen und hat ebenfalls Pech beim Kreditantrag.

Facebook als Bonitätsprüfer

Wer auf Facebook seine Likes unter die falschen Beiträge gesetzt hat, wird in Zukunft gleich vom Social-Media-Riesen selbst in die Pfanne gehauen, denn Facebook hat sich 2015 ein Patent sichern lassen, das Bonitätsprüfungen aufgrund von Einträgen auf seiner Website durchführt.

Die estnische Firma Big Data Scoring macht Ähnliches schon seit Jahren. Das Unternehmen bietet Kreditgebern ein Vorhersagemodell, das Social-Web-Daten analysiert. Die Antragsteller haben dabei die Wahlmöglichkeit, bei der Beantragung des Kredites ihre Facebook-Daten auslesen zu lassen, also etwa Alter, Wohnort, Aus­bildung, Aktivitäten und Freundesliste. Im Gegenzug wird ihnen eine Gutschrift oder ein Rabatt auf den Kredit in Aussicht gestellt.

Zeig mir deine Freunde!

Gemäß dem Prinzip "zeig mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist" wertet der Computer Daten wie etwa den Akademiker-Anteil unter den Freunden aus. Auch der Beziehungsstatus fließt in die Entscheidung mit ein. Aber nicht etwa so, wie wir es von den alteingesessenen Kreditauskunfteien kennen. Für sie gilt: Eine verheiratete Person steht für Stabilität und Verlässlichkeit. In den sozialen Medien dagegen ist es besser, nicht allzu viel Persönliches wie etwa Beziehungsbelange preiszugeben.

Denn statistisch gesehen seien die großen Plaudertaschen nicht die besten Kreditnehmer, wie ein Vorstand von Big Data Scoring erklärt. Ebenfalls ausgewertet werden Daten zum genutzten Browser und zum Endgerät. Handelt es sich dabei um eines von Apple, dann steigt der Bonitäts-Score des Users automatisch ein wenig an.

Prognosemodell für Europa in Arbeit

Das Unternehmen ist in Finnland, Polen, Tschechien und der Slowakei, in Lateinamerika und in Asien aktiv. Im deutschsprachigen Raum halte man sich wegen der hohen Sensibilität gegenüber der Nutzung von Daten aus den sozialen Medien noch zurück, wie es von Firmenvertretern heißt. An einem übergeordneten Europa-Prognosemodell wird allerdings schon fleißig gebastelt.

Big-Data-Riese Mastercard

Auswertung von Mausklicks, Akkustand, ...

Weniger zimperlich als bei uns wird mit Kreditnehmern in Fernost umgegangen. Die Firma Lenddo aus Hongkong beispielsweise analysiert Smartphone-Daten von Millionen von Nutzern. Digitale Fußabdrücke, speziell aus den sozialen Medien, verwendete Apps und Auswertungen von Mausklicks werden berücksichtigt. Sogar der Akkustand des Smartphones soll eine Rolle spielen. Ein stets geladenes Handy steht für Beständigkeit und vorausschauende Planung.

Die deutsche Firma Kreditech, die selbst auch Kleinkredite in Ländern wie Spanien, Russland, Polen oder Mexiko vergibt, geht ähnlich vor. Über eine Tochtergesellschaft offeriert Kreditech sogar einen Financial Health Indicator – ein Instrument, das die "finanzielle Gesundheit" einzelner Personen anzeigt.

Big-Data-Riese Mastercard

Ein allseits bekanntes Unternehmen, das groß in dieses Business eingestiegen ist, ist Mastercard. Der für seine Kredit- und Debitkarten bekannte Konzern arbeitet mit Technologien, die Risiken bei Transaktionen berechnen (Fraud Scoring). Hierfür erhebt er aber nicht nur Daten aus den über die eigene Firma gelaufenen Bezahlvorgängen (rund zwei Milliarden Menschen besitzen eine Mastercard), sondern auch aus dem Internet- und Smartphone-Nutzerverhalten generell. Seine Datenberge nutzt Mastercard auf vielerlei Arten; zum Beispiel auch, indem es Facebook dabei hilft, seine Werbeeinschaltungen zu präzisieren.

Einspruch gegen Datensammelei

Rechtlich gesehen verhält es sich bei derlei Anwendungen so wie bei vielen anderen im digitalen Geschäft. Vieles ist noch im Graubereich angesiedelt, vieles verstößt gemäß der seit Mai 2018 geltenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gegen das Zweckbindungs- und Datensparsamkeitsprinzip. Doch stimmt der Kunde bei der Nutzung einschlägiger Dienste den Bedingungen zu, dann hat sich das Unternehmen die Datensammelei erlauben lassen und verfügt damit – sollte kein Einspruch erfolgen – über einen Freibrief.

Verfahren gegen Schufa?

Der Datenaktivist Max Schrems hat jedenfalls bereits einen alteingesessenen Player des Kreditauskunftei-Geschäfts als mög­liches Ziel eines Verfahrens gemäß der neuen DSGVO ausgemacht: die SCHUFA. Denn, so Schrems, man könne sich durchaus fragen, worin deren Recht bestehe, Kreditinformationen von rund 70 Millionen Deutschen aufzubewahren, ohne dass die Betroffenen jemals etwas nicht bezahlt hätten.

Zwar handle es sich bei Kreditauskunfteien um ein legitimes Geschäfts­modell, so der Jurist, die Frage sei aber, ob man es nicht grund­legend anders orga­ni­sieren müsse – etwa durch eine schwarze Liste notorisch säumiger oder insolventer Kunden.

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