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Alzheimer - Aus Partnerschaft wird Pflege

, aktualisiert am

Das Leben mit einem an Alzheimer erkrankten ­Menschen muss nicht in ­monotones Pflegen münden. Es kann daraus auch eine ­innige Beziehung entstehen.

Vor zehn Jahren begann es, erzählt Frau Schmidt, die gerne bereit ist, über die Alz­heimererkrankung ihres Mannes zu berichten. Es war Sommer, ihr Mann und sie fuhren nach Italien, in die geliebte Toskana. Ihr Mann steuerte das Fahrzeug, wie immer, und wie immer machte er seine Sache gut. Aber seltsam: Dauernd war er auf der Suche nach irgendwelchen Dingen, etwa seiner Brille – dabei lag sie direkt vor ihm auf dem Tisch.

Diagnose Alzheimer

Eine Schusseligkeit, wir werden eben alt, dachte sich Frau Schmidt anfangs. Als ihr Ehemann jedoch auch zu Hause Dinge vergaß und verlegte, ging sie mit ihm zu einem Neurologen. Zur genaueren Abklärung. Die Untersuchung ergab, dass er Alzheimer hat. Die Diagnose war ein Schock, für sie nicht weniger als für ihn.

Wut und Ohnmacht

Von nun an würde es also nur noch bergab gehen, dachte sie, denn es handelt sich hierbei um eine Krankheit ohne Aussicht auf Heilung. Ihre gemeinsamen Zukunfts­pläne, die würden sie in den Wind schreiben können. Was wollten sie in der Pension nicht alles machen! Viel verreisen und fremde Kulturen kennen lernen! Daran war nun nicht mehr zu denken. Wut und Ohnmacht kamen in Frau Schmidt hoch, beides zusammen. Wut, weil ihr Mann zunehmend alles vergaß. Und ­Ohnmacht, weil gegen den progredienten (fortschreitenden) Verlauf der Krankheit ­offensichtlich nichts zu machen war.

Kein Gedanke an Peinlichkeit

Pfleger und Pflegling

Frau Schmidt gab ihren Mann tagsüber in ein Tageszentrum, was für sie eine gewisse Entlastung bedeutete. Gleichberechtigte Partner waren sie einmal gewesen, nun ­waren sie Pfleger und Pflegling. Als sie die Pflege alleine nicht mehr schaffte, holte sich Frau Schmidt Unterstützung ins Haus, eine sogenannte 24-Stunden-Hilfe. Doch auch das ging nicht ohne Probleme ab, denn nun ­mussten einander fremde Menschen sich auf engstem Raum arrangieren.

Frau Schmidts Sohn kam öfter vorbei und kümmerte sich um den kranken Vater. Doch ihre Tochter brach jeglichen Kontakt zur ­Familie ab.

Verständigung mittels Gesten

Herr Schmidt verlor krankheitsbedingt nach und nach die Fähigkeit, zu sprechen. Zur ­Verständigung blieben ihm Gesten. Frau Schmidt lernte mit der Zeit, sie richtig zu deuten. Ein schneller Gang bedeutete: Ich muss auf die Toilette. War Frau Schmidt ­gerade mit ihrem Mann auf der Straße unterwegs, musste sie in diesem Fall das nächste Lokal aufsuchen. Und dort mit ihm auf die Damentoilette gehen. Denn allein schaffte er es nicht mehr. Die Tür durfte nicht verschlossen werden, das hätte ihn in Panik versetzt – also nur zuhalten. Nein, peinlich sei ihr das nicht gewesen, sagt Frau Schmidt. Sie war so sehr damit beschäftigt, alles auf die Reihe zu bekommen, dass sie gar keinen ­Gedanken daran verschwendete, was wohl die anderen dachten.

Jeder Fall ist anders

Wer sich aufopert, wird selbst zum Opfer

Die Pflege ihres Mannes brachten Frau Schmidt Hämatome an den Oberarmen ein, so kräftig packte er sie hin und wieder. Nein, die Kräfte verließen ihn nicht, leider. Jener Mensch, den Frau Schmidt einmal geliebt und geheiratet hatte, der war nicht mehr. Zehn Jahre lang pflegte Frau Schmidt ihren Mann. Und bezahlte das mit ständig wiederkehrender Lungenentzündung. Wer sich ­aufopfert, wird selbst zum Opfer, heißt es. Irgend­wann wurde ihr die Belastung zu viel. Sie entschloss sich, ihren Mann in ein Heim zu geben. In ein Heim in der Slowakei, das immerhin bezahlbar war. Dort starb Herr Schmidt einen Monat nach seiner Einlieferung.

Alzheimer - Ein Martyrium?

Die Alzheimererkrankung – ein Martyrium für pflegende Angehörige. So kann es sein, so ist es auch oft. So muss es aber nicht sein. Im Gegenteil: Mitunter verhilft die Erkrankung dazu, dass Ehepartner, die sich schon auseinandergelebt hatten, noch einmal zusammenfinden.

Momente der Unruhe und Aggression

So war es bei Herrn und Frau Lampert. Jeden Abend wusch Frau Lampert ihren an Alzheimer erkrankten Mann und brachte ihn ins Bett. Leicht war es nicht – und trotzdem schön, betont sie: „Mein Mann ­bedankte sich jedes Mal.“ Momente von ­Un­ruhe und Aggression? Nein, der friedlichste Mensch sei ihr Mann gewesen.

Die Alzheimererkrankung kennt ganz unterschiedliche Verlaufsformen, jeder Fall ist ­anders. Wie belastend die Erkrankung für Angehörige ist, hängt nicht allein vom jeweiligen Krankheitsgeschehen ab, sondern auch davon, wie die Angehörigen darauf reagieren. Ein Klima steter Unruhe und Unzu­friedenheit herrscht dort, wo Angehörige den Kranken pausenlos maßregeln, mag dies auch Ausdruck großer Hilflosigkeit und tiefer Enttäuschung darüber sein, dass der geliebte Mensch nun so anders ist.

Rückzug in die eigene Welt

Die Alzheimererkrankung stellt eine ­Zäsur dar. Für den Patienten beginnt ein neuer ­Lebensabschnitt, denn sein Denken und sein Verhalten verändern sich. Er findet sich nicht mehr oder nur noch schlecht in der sogenannten Wirklichkeit zurecht und zieht sich deshalb in seine eigene Welt zurück. Ein Prozess, der mit tiefer Verunsicherung einhergeht. Das essenzielle Gefühl der Geborgenheit kommt dem kranken Menschen zunehmend abhanden, und das äußert sich oft in stetem Herumgehen.

 

Das Anderssein annehmen

Auf der Suche nach Geborgenheit

Was der an Alzheimer erkrankte Mensch in erster Linie benötigt, ist Anerkennung und Zuwendung, damit er wieder zu so etwas wie Geborgenheit finden kann. Wir alle, auch die Gesunden, sind auf Wertschätzung durch unsere Mitmenschen angewiesen. Wer sie nicht bekommt, dem droht der ­soziale Tod. Manche neigen dazu, an Alz­heimer erkrankten Menschen jegliche Empfindung abzusprechen. Das ist allerdings ein Irr­glaube!

Intaktes Gefühlsleben

Der Alzheimerkranke büßt zwar seine kognitiven Fähigkeiten ein, doch sein Gefühls­leben bleibt intakt, wird womöglich sogar inten­siver. Er spürt das in der Luft Schwebende, die Ungeduld des Gegenübers, das Desinteresse – er spürt aber auch Mitmenschlichkeit.

Höchstmaß an Geduld und Empathie

Darum ist es für eine geglückte Beziehung so wichtig, den Kranken in seinem Anderssein anzunehmen und ihn zu respektieren. Nur so kann er wieder zu einer Identität finden. Kein Zweifel, das stellt für Angehörige und die nächste Umgebung eine hohe Anforderung dar, macht ein Höchstmaß an Geduld und Empathie nötig. Hinzu kommt, dass dies Werte sind, die im „normalen“ Alltag, in ­unserer Wettbewerbsgesellschaft nicht viel zählen. Da geht es eher um Effizienz, um Leistungssteigerung und Schnelligkeit.

Es ist nicht das Ende

Tod des Ichs

Im öffentlichen Bewusstsein wird Alzheimer gerne mit einer Art Katastrophe gleich­gesetzt. Vom „Tod des Ichs“ ist da die Rede, vom „großen Vergessen“. Es soll hier nichts verharmlost werden. Ohne Zweifel ist Alzheimer eine Erkrankung mit besonderer Tragik. Nur ist ein Leben mit Alzheimer keineswegs, wie es manchmal suggeriert wird, zu Ende. Es geht weiter.

Die andere Beziehung

Auch die Beziehung geht ­weiter, wenngleich sie nicht mehr so sein wird, wie sie vorher war. Auch für die Angehörigen beginnt eine neue Lebensspanne. Es kann aber nicht darum gehen, Vergangenem nachzutrauern, mit dem Schicksal zu hadern. Vielmehr gilt es, auch die Chance für neue Erfahrungen und neue Lebensräume zu ­sehen, die sich mit der Krankheit eröffnet. Die frühere Verfassung des kranken Menschen kann nicht wiederhergestellt werden, trotzdem bleibt er ein unverwechselbares und einzigartiges Individuum mit speziellen Vorlieben und Abneigungen. Er freut sich und er ärgert sich, wie jeder andere Mensch auch.

Neue Unbefangenheit

Tilman Jens hat ein Buch über die Alzheimererkrankung seines Vaters ­Walter Jens geschrieben, des berühmten und inzwischen verstorbenen Rhetorikprofessors aus Tübingen. Darin heißt es an einer Stelle: „Ich habe einen ganz anderen Vater entdeckt, ­einen kreatürlichen Vater – einen Vater, der einfach nur lacht, wenn er mich sieht, der sehr viel weint und sich Minuten später über ein Stück Kuchen, ein Glas Kirschsaft freuen kann.“ Die Demenz hat ­Tilman Jens eine neue Unbefangenheit im Umgang mit seinem Vater ermöglicht. Das Leben mit dem Kranken muss also nicht in monotones Pflegen münden. Im Ideal­fall ­finden die Betroffenen zu einer innigen Beziehung, von der beide Seiten ­profitieren, sowohl der Pfleger wie auch der Pflegling.

Buchtipp: "Alzheimer"

Jede Zeit hat ihre Krankheit. Heute ist das sicherlich Alzheimer - das schleichende Vergessen. Vor keiner Erkrankung haben die Menschen mehr Angst. Wir klären über diese und andere Formen von Demenz auf. Wir liefern Hintergründe und Tipps, lassen Experten und Betroffene zu Wort kommen und erinnern daran, dass auch ein Mensch mit Alzheimer durchaus glücklich sein kann.

www.konsument.at/alzheimer

Aus dem Inhalt

  • Verlauf einer Alzheimererkrankung 
  • Therapiemöglichkeiten 
  • Betreuung und Pflege 
  • Rechte der Betroffenen 
  • Hilfe und finanzielle Unterstützung

Zweite, überarbeitete Auflage 2017;  240 Seiten, 19,60 € + Versand

 KONSUMENT-Buch: Alzheimer 

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