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Kartelle: Preisabsprachen - Räuber und Gendarm

, aktualisiert am

Kartelle: Unternehmen sprechen höhere Preise ab und der Kunde zahlt. Zwar erkämpft die Wettbewerbsbehörde mehr Strafen, der kleine Konsument schaut aber trotzdem durch die Finger.

Unternehmen sprechen höhere Preise ab und der Kunde zahlt - ein KONSUMENT-Report über Kartelle (Illustration: Rosch)

Das Pharmaunternehmen Johnson & Johnson (J & J) hatte 2005 mit dem Konkurrenten Sandoz (Novartis) in Holland einen Deal vereinbart. Es ging um das Schmerzmittel Fentanyl, das vor allem bei Krebspatienten zum Einsatz kommt. Gegen eine Entschädigung sollte Sandoz seine neue, billigere Version des Mittels (Generikum) nicht auf den Markt bringen ("pay for delay“). J & J konnte dadurch 17 Monate länger sein teureres Originalmedikament verkaufen. Den Schaden zahlten die holländischen Beitrags- und Steuerzahler. Die EU-Kommission verhängte 2013 über beide Unternehmen eine  von insgesamt 16 Millionen Euro. Zum Vergleich: J & J hatte 2014 einen Gesamtkonzernumsatz von 65 Milliarden Euro. Oder vielleicht was Aktuelles aus Deutschland: Die deutschen Zuckerhersteller Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen hatten seit Mitte der neunziger Jahre Preise abgesprochen und mussten 2014 laut Bundeskartellamt 280 Millionen Euro Strafe zahlen. Geschädigte (z.B. Nestle) klagten auf Schadenersatz und erhielten 2023 knapp 15 Millionen Euro zugesprochen.

Preisabsprachen: Konkurrenz abhalten

Kunden durch Preisabsprachen zu viel Geld abzunötigen ist das eine, Konkurrenz, die billiger und besser ist, zu behindern, etwas anderes. In Österreich leuchtet die Bundeswettbewerbsbehörde: Kartelle, Preisabsprachen (BWB) laufend in die dunklen Winkel von Preisabsprachen und anderen Wettbewerbsverzerrungen. Die Kartellwächter fanden unter anderem: ein Bierkartell, ein Dämmstoffkartell, ein Speditionskartell, sie fanden Molkereien und Zahlungsdienstleister, die gesetzwidrig handelten. Beim Bier: Zwettler, Stiegl, Hirter, Ottakringer, Brau Union (mit den Marken Zipfer, Puntigamer, Gösser, …); bei den Dämmstoffen Bauhaus, Obi, Hornbach, Swisspor, Steinbacher, Austrotherm; bei den Speditionen Rail Cargo (ÖBB), DHL Express, Kühne + Nagel, Gebrüder Weiss; bei den Molkereien NÖM, Kärntnermilch und Berglandmilch, bei Getränken Preisabsprachen bei Rauch - 1,7 Millionen Euro Strafe. 2007 schaffte es auch Europay, jetzt PayLife, auf die Liste der Wettbewerbssünder. - Lesen Sie auch Bundeswettbewerbsbehörde: Geldbussen Tabelle 2002 - 2015

20 Prozent teurer

Natalie Harsdorf von der BWB schätzt, dass nur 15 bis 30 Prozent der Kartelle weltweit auffliegen. Eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zeigt, dass der durchschnittliche Kartellaufschlag um die 20 Prozent des Verkaufspreises beträgt. Aber Kartelle: Kein Schadenersatz für Konsumenten und KMU, Referent der Wirtschaftskammer für Kartellrecht und Wettbewerbspolitik und Laienrichter am Kartellgericht, meint: „Es kann durch ein Kartell auch gar kein Schaden entstehen.“

Auch große Kunden geschädigt

Wenn also ein Schaden aus überhöhten Kartellpreisen entsteht, dann trugen und tragen ihn die Kunden. An der Billa-Kasse z.B. waren es einfache Konsumenten. Beim Dämmstoffkartell zahlten Mieter, Immobilieneigentümer, Genossenschaften und Steuerzahler. Beim Aufzugskartell traf es viele große Unternehmen - z.B. die Wiener Linien mit einer "zweistelligen Millionensumme“. 2007 hatte das Kartellgericht die Aufzugs- und Rolltreppenhersteller zu 75 Millionen Euro Strafzahlung verurteilt. Zum Vergleich: Das Jahresbudget des VKI beträgt zehn Millionen Euro.

EU-Beitritt ohne starke Wettbewerbsbehörde

Bei der Kartellbekämpfung hinkt Österreich hinterher. Das hat auch historisch-politische Gründe. Denn Österreich durfte noch ohne starke Wettbewerbsbehörde in die EU. Für nachfolgende osteuropäische Staaten war sie Beitrittsbedingung.

144 Mio. Euro Strafgelder

144 Mio. Euro Strafgelder

Die Bundeswettbewerbsbehörde muss man sich wie eine Wettbewerbspolizei vorstellen. Sie sammelt Hinweise, erhebt Anklage, wenn sich der Verdacht erhärtet, übergibt belastende Materialien an das Kartellgericht und stellt einen Antrag auf Geldbuße. Das Kartellgericht prüft, entscheidet und fixiert die Strafe. Seit 2004 sorgte die BWB nach eigener Darstellung für Bundeswettbewerbsbehörde: Kartelle, Preisabsprachen. Dieses Geld geht an das Finanzministerium und fließt ins Budget.

David gegen Goliath

Da könnte entschieden mehr fließen. 2013 verfügte die BWB über ein Budget von 2,9 Mio. Euro, erwirkte mit 36 Mitarbeitern Strafen von 25 Mio. Euro. Hier kämpft David gegen Goliath. Wie sollen die paar Leute langfristig für fairen und freien Wettbewerb sorgen? Die EU-Kommission hatte Österreich kürzlich aufgefordert, so Natalie Harsdorf, die Kartelle: Empfehlung des EU-Rates zum nationalen Reformprogramm Österreichs 2014 (PDF). Erst seit März 2013 sind die Urteile des Kartellgerichts durch Druck aus Brüssel öffentlich zugänglich (Entscheidungen des Kartellgerichtes (ab 1.3.2013)).

Ausgeplaudert

Punktuell scheint es, als würde der freiere europäische Markt (oder ein neues Unrechtsbewusstsein?) für frischen Wind sorgen; in zumindest zwei Fällen hatten deutsche Unternehmen österreichische Kartelle auffliegen lassen. Kartelle: Schadenersatz gegen Manager und lieferte dann als Kronzeuge Insiderinformationen an die Behörde. Beim Speditionskartell hatte ein Mitarbeiter von Schenker (Tochter der Deutschen Bahn) erst Notizen und dann den Kronzeugen gemacht.

Kronzeuge und Hausdurchsuchung

Kronzeuge und Hausdurchsuchung

Derzeit verfügt die BWB über zwei Waffen: das scharfe Schwert der Kronzeugen und den groben Knüppel der Hausdurchsuchung. Kronzeugen sind billig und effizient. Entscheidet sich ein Unternehmen, aus einem Kartell auszusteigen und als Kronzeuge auszupacken, dann wird es zwar angeklagt, muss aber vom Gericht keine Geldstrafe befürchten. Harsdorf: "Wir haben die Erfahrung gemacht: Nur wenn wir ermitteln und Druck aufbauen, melden sich Kronzeugen.“ Die Lebensmittelbranche steht unter Druck, aber es gibt trotzdem keine Kronzeugen. Da traut sich keiner.

Rewe zahlte 20,8 Mio. Euro

Kommen die Kronzeugen nicht zur Behörde, geht die Behörde zum Unternehmen. Rewe (Billa, Merkur, Bipa, Penny) musste 2012 eine mehrtägige Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Ein Jahr später zahlte der Lebensmittelkonzern in einem verkürzten Verfahren (Settlement) 20,8 Millionen Euro AK: "Rewe schuld an Österreich-Aufschlag". Es ging um Käse, Bier, Fleisch, Geflügel, Eier, Fette, Öle, Eis, Tiefkühlkost, Konserven, Frühstücks- und Babynahrung, Brot und Backwaren, Kosmetik, Spirituosen, Wein, alkoholfreie Getränke, Tierfutter, Waschmittel, Putzmittel ... Die Konsumenten, sagt Rewe, seien aber "in keiner Form auch nur irgendwie geschädigt" worden, man habe mit der Zahlung nur "einen jahrelangen Rechtsstreit vermeiden" wollen.

Spar wehrt sich

Spar wehrt sich

Spar hingegen sucht den Rechtsstreit. Auch Spar musste eine Hausdurchsuchung durch die BWB über sich ergehen lassen, ließ aber im Gegenzug die mitgenommenen Dokumente versiegeln. Jetzt liegen sie beim Kartellgericht und die BWB darf sie – Stand Februar 2015 – nicht auswerten. Im November 2014 verurteilte das Kartellgericht die Supermarktkette zu einer Kartelle: Strafzettel für Spar. Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz von Spar betrug 2013 knapp 13 Milliarden Euro. Das Kartellgericht sprach von systematischen Preisabsprachen bzw. „Preismoderation“ bei Molkereiprodukten in einem Zeitraum von zehn Jahren. Die Wettbewerbsbehörde prüft noch 16 weitere Produktgruppen. "Welche sind das?“ – "Sorry, laufendes Verfahren.“ Spar geht in die nächste Instanz und begründet dies in einer Spar: Presseaussendungen im Kartellverfahren so: „Spar […] strebt Rechtssicherheit für das eigene Unternehmen und alle Marktteilnehmer an.“ Es könnte auch um Zeitgewinn gehen, zumindest stellt es die BWB so dar. Erst dann, wenn die Behörde an das Gericht einen Bußgeldantrag stellt, wird die Verjährung unterbrochen. - Lesen Sie hier mehr über das verzehnfachte Bußgeld gegen Spar: Spar: 30 Millionen Euro Kartellstrafe - Preisabsprachen bei Molkereiprodukten

Lieferant als Wauwau

Kartelle gibt es in zwei Richtungen. Sprechen sich z.B. alle wichtigen Installateure ab, dass sie für bestimmte Leistungen einen höheren Preis verlangen, dann ist das eine sogenannte horizontale Preisbindung. Kommen hingegen Lieferant und Händler zu abgestimmten Preisen, die den freien Wettbewerb behindern, dann spricht man von vertikaler Preisbindung. Bei Kartellen alten Stils trafen sich Entscheidungsträger an abgeschotteten Orten und vereinbarten höhere Preise. Heute läuft die Preismoderation eleganter: Da motiviert die Supermarktkette den Lieferanten, damit dieser erstens der Kette die Preise anderer Händler meldet und zweitens auf die anderen Händler so einwirkt, dass auch sie die gewünschten Preise einhalten. Der Lieferant als Wauwau.

Kärntnermilch: "5 bis 10 Cent pro Liter"

Kärntnermilch: "5 bis 10 Cent pro Liter"

Kleine sind da ungeschickter. Die Molkerei Kärntnermilch etwa, so berichtet die Wettbewerbsbericht der AK 2014 (PDF) (S 57), hatte gemeldet, dass der Milchpreis wegen Trockenheit und Mangel an Futter steigen werde. Der Abgabepreis ist Sache der Molkerei, der Endpreis im Geschäft Sache des Händlers. "In rund zwei Wochen“, so zitiert der AK-Bericht den Geschäftsführer der Molkerei, "soll der Futtermangel: Milchpreis steigt (letzter Absatz), um fünf bis zehn Cent pro Liter.“

Das Kartellgericht verhängte wegen vertikaler Abstimmung mit dem Lebensmitteleinzelhandel eine Geldstrafe von 375.000 Euro. Kleinvieh macht auch Mist.

Tipp der Redaktion: Beachten Sie, was die Medien 2015 über Agrana und Südzucker berichten.

Südzucker verurteilt

AKTUALISIERUNG/NACHTRAG (3/2024): Auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde verhängte das Kartellgericht 2023 eine Geldbuße von 4,2 Mio Euro gegen die deutsche Südzucker AG. Der Kartellverstoß betrifft eine Absprache zur Aufteilung des österreichischen Marktes für Industriezucker. Das war 2006. 

Der Hintergrund für dieses lange Verfahren:

2014 hatte das deutsche Bundeskartellamt wegen Absprachen am deutschen Markt Geldbußen verhängt - und zwar gegen drei große deutsche Zuckerhersteller, nämlich Pfeifer & Langen GmbH & Co. KG, Südzucker AG, Nordzucker AG. Auch die die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde sah einen Verstoß und forderte eine Geldbuße. Nun sah aber das österreichische Kartellgericht die Möglichkeit einer Doppelbestrafung und lehnte den Bußgeldantrag für die Südzucker AG ab. Die Sache ging wegen ungeklärter Rechtsfragen bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Sie wurde daraufhin in Österreich neu aufgerollt. Jetzt sind Urteil und Geldstrafe wegen verbotener Preisabsprachen rechtskräftig.

Da die Südzucker AG kooperierte (sogenanntes Settlement) fiel die Strafe deutlich geringer aus.

Lesen Sie mehr: 

Bundeswettbewerbsbehörde: Kartellgericht verhängt auf Antrag der BWB Geldbuße gegen Südzucker AG iHv EUR 4,2 Mio; Entscheidung rechtskräftig

Geldbußen in Österreich

Wettbewerbsverzerrung und Kartelle: Hier die Geldbußentscheidungen in Österreich seit 2002.

Geldbußen in Österreich
Kartelle und Missbrauch der Marktmacht Geldbuße in
Euro, gerundet
Gerichts-
Entscheid
2)
De‘ Longhi-Kenwood: Elektronik 650.000 2016
Spar Österreich- Gruppe II 10,2 Mio. 2016
Rauch Fruchtsäfte 1,7 Mio. 2016
Etransa: Spedition 3,5 Mio. 2016
Schenker: Güterverkehr und Logistik 318.000 2016
Panalpina: Transport 2 Mio. 2016
Rail Cargo: Güterverkehr und Logistik 184.000 2016
Hewlett-Packard: Elektronik 640.000 2015
KTM: Fahrrad 112.000 2015
United Navigation: Elektronik 100.000 2015
Samsung: Elektronik 1 Mio. 2015
Spar Österreich Gruppe 30 Mio. 2015
Nikon: Elektronik 170.000 2015
Frankstahl: Rohr- und Stahlhandel 147.000 2015
Pago: Fruchtsaft 152.460 2015
Pfeiffer und Zielpunkt: Lebensmittelhandel 562.500 2015
Großschädl: Stahlhandel 47.500 2015
Eisen Wagner: Eisen- und Stahlhändler 150.000 2015
Filli: Stahlhandel 32.500 2015
Mechel: Stahlhandel 200.000 2015
Sport Pangratz & Ess GmbH, Alber Sport GmbH, Sport Jennewein Martin e.U., Sport Fauner GmbH & Co KG: Sportartikelhandel 419.000 2015
Vöslauer: Mineralwasser 653.775 2015
Rail Cargo (ÖBB), DHL Express, Kühne + Nagel, Gebrüder Weiss und 26 andere: Speditionen 17,5 Mio. 2014
Sutterlüty: Bier, Mehl, alkoholfreie Getränke, Molkereiprodukte    78.750  2014
MPREIS: Bier, alkoholfreie Getränke, Fleisch, Wurst, Molkereiprodukte      225.000 2014
NÖM: Molkereiprodukte    583.000  2014
Grundig, Hans Lurf, Media-Saturn, Pioneer, SSA Fluidra: Elektro- und Elektronikgeräte   2,1 Mio. 2014
AFS: Bier, Mineralwasser, Limonade    225.000 2014
Brauerei Schloss Eggenberg, Kärntner Brauereien, Mohrenbrauerei, Zwettler, Hirter, Braucommune Freistadt, Stiegl: Bier     725.000 2014
Kärntnermilch: Molkereiprodukte   375.000  2013
Austrotherm, Steinbacher, Bauhaus, Obi, Hornbach, Baumax, Swisspor: Dämmstoffe    1,6 Mio.  2012-2014
Rewe (Billa, Merkur): Lebensmittel, Getränke     20,8 Mio. 2013
Philips: Küchengeräte, Körperpflegeapparate    2,9 Mio.  2013
Berglandmilch, Emmi, Vorarlberger Mühlen, Rieder: Lebensmittel, Bier      1,4 Mio. 2012-2013
Ottakringer, BrauUnion, Stiegl: Fassbier     1,1 Mio. 2012
Donau Chemie, DC Druck-Chemie Süd, Brenntag, Ashland-Südchemie: Druckchemikalien   1,5 Mio.  2010
Donau Chemie: Industriechemikalien   1,9 Mio. 2009
Otis, Kone, Schindler, Haushahn , Doppelmayr: Aufzüge, Rolltreppen    75,4 Mio.  2008
Innsbrucker Fahrschulen    70.000  2008
PayLife Bank (Europay Austria): Bankomatvertrag    7 Mio.  2007
Grazer Fahrschulen   80.000 2005 -2006
Verstöße anderer Art (nicht genehmigte Fusionen, mangelnde Auskünfte …)   ca. 5,4 Mio.  
Summe aller Geldbußen  ~ 194 Mio 2002-2016
Quelle: BWB; Stand: 3/2017

1) aufgrund von Anträgen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und/oder des Bundeskartellanwaltes und einer Entscheidung des Kartellgerichtes
2) neueste oben

Kauf nicht beim Onlinehändler

Die Elektronikbranche stand 2014 und davor im Visier der Kartellbehörde. Media-Saturn, Grundig, Pioneer und anderen wurde vorgeworfen, den Onlinehandel zu behindern.

Es ging um Receiver, Poolreinigungsroboter, Fernsehapparate, Unterhaltungselektronik ... Die Gesamtstrafe betrug 2,1 Mio. Euro. Auslöser für das Verfahren war eine Geizhals-Studie 2011: Druck der Industrie auf Preisgestaltung unter Onlinehändlern. 47 Prozent klagten, dass die Industrie versucht habe, die Onlinepreise zu beeinflussen. "Beeinflussen“ bedeutet: verzögerte Lieferung und Liefersperre bestimmter Artikel, schlechtere Einkaufskonditionen, Verlust des Jahresbonus, keine Produktbilder vom Hersteller. Gute Fotos sind in Onlineshops ganz wichtig für den Verkauf.

Wer zahlt die Strafe?

Wenn das Kartellgericht ein Unternehmen zu Strafzahlungen verurteilt: Woher nimmt es dieses Geld?

  • Aus den kartellierten, überhöhten Endpreisen (Kunde zahlt)?
  • Aus besonders niedrigen Einkaufspreisen (Lieferant zahlt)?
  • Aus Gehalts- und Personaleinsparungen (Mitarbeiter zahlen)?
  • Aus geringeren Sachausgaben (Geschäftspartner zahlen)?
  • Aus dem Kartelle: Schadenersatz gegen Manager?
  • Aus der Nicht-Ausschüttung von Gewinnen an die Eigentümer oder aus Einzahlungen von Eigentümern?

Keine Information, kein Schadenersatz

Bei Preisabsprachen ist der verursachte Schaden schwer zu beziffern. Erwischte Kartellfirmen verteidigen die Namen der überteuerten Produkte und Erträge als Geschäftsgeheimnis; Kartellgericht und BWB veröffentlichen sie nur sehr eingeschränkt.

Ulrike Ginner von der wirtschaftspolitischen Abteilung der Arbeiterkammer registriert zwar, dass die Veröffentlichungen besser geworden sind, fordert aber trotzdem mehr Transparenz ("Komplettdarstellung, damit man mehr weiß").

Große Unternehmen können, wenn sie durch Preisabsprachen geschädigt werden, von Kartellunternehmen Schadenersatz fordern. So klagt z.B. die Stadt Wien im Namen der Wiener Linien Unternehmen des Aufzugs- und Rolltreppenkartells auf Schadenersatz.

Kunde müsste auf Schadenersatz klagen

Wenn aber Hunderttausende Konsumenten jahrelang jeweils 15 Cent zu viel für Käse oder Bier bezahlt haben: Wie bekommen die ihr Geld zurück? Theodor Taurer von der Wirtschaftskammer: „Der einzelne Konsument müsste in einem Zivilprozess Schadenersatz einklagen. - Aber ich versteh schon, das ist nicht einfach.“ In der Praxis ist es derzeit unmöglich. Denn ohne öffentlich zugängliche Informationen, welche Produkte wann überteuert verkauft wurden, hat ein einfacher Konsument keine Chance, auf Schadenersatz zu klagen.

Besitzen Sie noch die kleinen Kassazettel aus dem Jahr 2010?

Kartelle lohnen sich

Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt: Kartelle lohnen sich.

Diese Untersuchung beziffert die Preisaufschläge auf etwa 20 Prozent. Internationale Kartelle greifen ungenierter zu als nationale, und die Verschärfung des europäischen Wirtschaftsrechtes hat "zu keiner Zurückhaltung im Preissetzungsverhalten der Kartellanten geführt". Kartelle waren für die meisten Firmen "ein lukratives Geschäft […]. In 67 Prozent der Fälle übertrifft der Kartellgewinn die erwartete Bußgeldzahlung."

F. Smuda: Cartel Overcharges an the Deterrent Effect of EU Competition Law

Beispiel AFS: So entsteht die Geldbuße

Wie errechnen Wettbewerbsbehörde und Gericht die Höhe der Geldstrafe? Hier ein Fallbeispiel.

Bis zu 10 % des Jahresumsatzes

Der Getränkehändler AFS beliefert u.a. Lagerhäuser mit Bier und Getränken. Er hatte mit den Lieferanten Preise abgestimmt und auf sie Druck ausgeübt "zur handelsweiten Umsetzung von Verkaufspreiserhöhungen". Wie errechnete sich nun die Geldstrafe? § 29 und § 30 des Kartellgesetzes bestimmen: Es zählt das vorausgegangene Geschäftsjahr und der damit verbundene Gesamtumsatz des Unternehmens. Die Geldbuße kann bis zu 10 Prozent (Höchstbetrag) betragen. Da die Festlegung der Geldbuße im Detail schwer nachvollziehbar ist, zitieren wir aus der AFS Franchise Systeme: Geldbuße wegen vertikaler Preisabsprache:

Schwierig "tatbezogenen Umsatz zu ermitteln"

"Zur Höhe der Geldbuße führte die Bundeswettbewerbsbehörde aus, aufgrund der Schwierigkeit, einen tatbezogenen Umsatz zu ermitteln, sei von einem angemessenen Ausgangsbetrag von EUR 250.000,-- auszugehen. Dazu komme ein Aufschlag von 50 % für die Dauer der Zuwiderhandlung, was zu einem Betrag von EUR 375.000,-- führe. Von diesem sei ein Nachlass von 20 % für die Reduktion des Verfahrensaufwandes infolge der Außerstreitstellung des Sachverhalts durch die Antragsgegnerin und des von ihr abgegebenen Anerkenntnisses auszugehen. Von dem daraus resultierenden Betrag von EUR 300.000,-- sei ein weiterer Abschlag von 25 % für die Mitwirkung an der Aufklärung und [...] zu gewähren. Der sich daraus ergebende Betrag von EUR 225.000,-- sei ausreichend spezial- und generalpräventiv, zumal die Antragsgegnerin offenbar schon Schritte zur künftigen Hintanhaltung derartiger Verstöße eingeleitet habe."

Die vollständige Entscheidung (OLG Wien (009) 29 Kt 27/14) ist online unter AFS Franchise Systeme: Geldbuße wegen vertikaler Preisabsprache zu finden.

Leserreaktionen

Beobachtungen im Supermarkt

Spar und REWE (Merkur, Billa) haben gleichzeitig die Preise für die Eigenmarken von Toastbrot um 20 % erhöht! Verbotene Preisabsprache? Wie kommt man denn darauf? Andererseits: Die Milchbauern jammern, dass die Erzeuger-Preise so stark gefallen sind, dass die Kosten nicht mehr gedeckt werden. Ich habe aber weder bei Spar noch bei Merkur, Billa oder Hofer etwas von einer Milchpreissenkung gemerkt.

Erlauben sich etwa die Molkereien bzw. der Handel, den Bauern weniger zu zahlen, aber vom Endverbraucher schamlos zu kassieren? Das kann doch nicht wahr sein, denn das hätten doch die allgegenwärtigen Medien längst aufgedeckt und die Arbeiterkammer voller Entrüstung als unmoralisch verdammt!

Dr. Alexander Micke
Wien
(aus KONSUMENT 10/2016)

Preisabsprachen melden

Wo kann ich den Verdacht auf Preisabsprachen melden? Jeder konnte sehen, dass Badezimmer-Armaturen völlig überteuert waren. Schließlich wurden etliche Firmen wegen Absprachen verurteilt. Dasselbe gilt meines Erachtens für Hersteller von Rolläden. Wo kann ich einen solchen Verdacht melden?

User "hwy2001"
(aus KONSUMENT 6/2015)

Wenn Ihnen Verstöße gegen das Kartell- oder Marktmissbrauchsverbot bekannt sind, können Sie eine Beschwerde direkt bei der Bundeswettbewerbsbehörde einbringen. Mehr finden Sie mit dem Suchbegriff „Beschwerde“ auf der Homepage der Bundeswettbewerbsbehörde (Bundeswettbewerbsbehörde).

Die Redaktion

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