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Obsoleszenz: schneller alt, ... - ... rascher kaputt

Geplanter Verschleiß: Obsoleszenz ist zu einem Schlagwort geworden. Was steckt dahinter? Wie diskutiert die Fachwelt das Thema? Was sagt die Wissenschaft dazu?

Die geplante Obsoleszenz – die absichtliche Verkürzung der Lebensdauer von Produkten – hat in den letzten Monaten zu heftigen Kontroversen geführt. Während die Wirtschaft gerne von einem Mythos spricht, ist in Fachkreisen unbestritten, dass die Produktlebensdauer mit unterschiedlichen Methoden reduziert werden kann und auch tatsächlich wird. Und das nicht erst seit gestern. Der Begriff Obsoleszenz ist erstmals 1932 aufgetaucht, so lautet zumindest die Vermutung von Dr. Renate Hübner von der Alpen-Adria Universität Klagenfurt.

Glühbirnen: nur 1000 statt 2500 Stunden

Praktiziert wurde die Methode bereits davor: Prominente Beispiele sind das Glühbirnenkartell und die US-Automobilindustrie. Im Jahr 1924 verständigten sich die großen Glühlampenhersteller – darunter Philips, Osram und General Electric – darauf, die Soll-Lebensdauer von Glühbirnen auf maximal 1.000 Stunden zu beschränken, obwohl damals schon eine Lebensdauer von 2.500 Stunden technisch möglich war.

General Motors: Kurzlebigkeit und schneller Modellwechsel

Ford Model T: Inbegriff für Qualität und Haltbarkeit bis die Hersteller die Obsoleszenz für sich entdeckten (Bild: Keith Bell/Shutterstock)
Ford Model T: Inbegriff für Qualität
und Haltbarkeit bis die Hersteller
die Obsoleszenz für sich entdeckten
(Bild: Keith Bell/Shutterstock)

Zweites Beispiel: Der Autohersteller Ford setzte ursprünglich auf hohe Qualität und Haltbarkeit und hatte damit lange Zeit Erfolg. Sein "Model T“ beherrschte im Jahr 1921 den US-Automobilmarkt (61% Marktanteil). Hauptkonkurrent General Motors hingegen verfolgte die Strategie Kurzlebigkeit und schneller Modellwechsel. Damit konnte der Konzern seine Absätze enorm steigern. Fords Model T verlor ständig Marktanteile, 1927 wurde die Produktion eingestellt.

Strafsteuer gegen Langlebigkeit?

Strafsteuer für Kaufunlustige

Dabei wurde damals die absichtliche Obsoleszenz als durchaus positiv betrachtet, man nannte sie "purposeful", also "zweckmäßige" Obsoleszenz. Bernard London, ein britischer Ökonom, verstieg sich sogar zu der Forderung, "Konsumenten, die ihre alten Autos, Radios oder Kleidungsstücke weiter verwenden, nachdem diese Produkte ihr Obsoleszenz-Datum überschritten haben", mit einer Strafsteuer zu belegen. Er dachte damals (1932), die Depression durch eine Verkürzung der Produktlebensdauer bekämpfen zu können.

Alles für das Wirtschaftswachstum

Dazu ist es zum Glück nie gekommen, doch auch heute noch plädieren nicht wenige Politiker und Interessenvertreter dafür, Gebrauchsgüter früher auszutauschen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Dafür sehen sie auch den Umweltschutz auf ihrer Seite, etwa wenn sie darauf verweisen, mit dem Austausch alter Haushaltsgeräte könnte viel Strom gespart werden. Mit diesem Argument kommen sie allerdings um gut 20 Jahre zu spät. Eine Waschmaschine Baujahr 1980 hat tatsächlich viel mehr Energie und Wasser verbraucht als heutige Modelle. Doch die Umstellung auf energieeffiziente Geräte hat spätestens in den Neunziger-Jahren eingesetzt.

Auch Herstellung und Entsorgung verbrauchen Energie

Wer heute ein 10 Jahre altes Qualitätshaushaltsgerät ersetzt, wird damit nur geringe Einsparungen erzielen können – weit davon entfernt, dass sich der Kaufpreis amortisieren würde. Außerdem wird bei solchen einfachen Rechenbeispielen immer geflissentlich darüber hinweggesehen, dass die Maschinen nicht nur im Betrieb Energie und andere Ressourcen verbrauchen, sondern diese auch für ihre Herstellung und für ihre Entsorgung nötig sind. Und das in beträchtlichem Ausmaß – nur der kleinere Teil der Energie wird heutzutage für die Nutzung benötigt. Einmal gekaufte Produkte sollten daher in der Regel immer so lange wie möglich verwendet werden.

Erste Kritik in den 1960er-Jahren

Erste Kritik in den 1960er-Jahren

Andererseits hat die Wegwerfgesellschaft schon frühzeitig Kritiker auf den Plan gerufen. Ein Meilenstein war das Buch "Die große Verschwendung" von Vance Packard 1961. Die erste umfassende wissenschaftliche ­Untersuchung "zur Obsoleszenzthese" im deutschsprachigen Raum wurde laut Renate Hübner im Jahr 1976 veröffentlicht. Sie hat allerdings wenig konkrete Ergebnisse gebracht. Erst in den Neunziger-Jahren hat die Politik reagiert.

Durch Förderungen und gesetzliche Bestimmungen wollte man die Lebensdauer von Produkten verlängern bzw. für ihre Wiederverwertung sorgen. Beispiele dafür sind das Abfallwirtschaftsgesetz und der Ökodesign-Wettbewerb 1993. In den letzten 10 Jahren ist das Phänomen Obsoleszenz endgültig in Forschung und Medien angekommen. Filme wie "The Story of Stuff" (2007, USA) oder "Kaufen für die Müllhalde" (2010, Europa) haben den Begriff einem breiten Publikum bekannt gemacht.

Abwrackprämie gegen Finanzkrise

Doch bei Gegenwind sind die guten Vor­sätze schnell vergessen. Als im Jahr 2008 die Finanzkrise über die Welt hereinbrach, reagierte die Politik in Österreich wie in Deutschland unter anderem mit einer Abwrackprämie: Wer ein altes, noch voll funktionstüchtiges Auto durch ein neues ersetzte, wurde mit einer Förderung belohnt.

Wachstum als Dogma

Wachstum überdeckt Konflikte

Um der Krise zu entkommen, muss die Wirtschaft angekurbelt werden. Ein Mittel dazu: die Lebensdauer der Produkte zu verkürzen. Trotz vieler Bekenntnisse und Initiativen für eine umweltgerechtere Wirtschaft wird dem Wachstum unverändert Priorität eingeräumt. Mit immerwährendem Wirtschaftswachstum konnten in der Vergangenheit viele Konflikte überdeckt werden – wenn der Kuchen insgesamt größer wird, bekommen auch einkommensschwächere Teile der Bevölkerung ein größeres Stück davon ab.

Gesundheit, Freizeit oder soziale Kontakte

Doch immer mehr Wissenschaftler und engagierte Laien beginnen dieses mittlerweile 200 Jahre alte Dogma zu hinterfragen. "His­torisch hat das Sinn gemacht, passt aber nicht mehr in die heutige Problemlage", so Univ.Prof. Sigrid Stagl vom Institut für Regional- und Umweltwirtschaft an der WU Wien. Für eine wachsende Zahl von Menschen erhöhe sich, sagt Stagl, durch ein steigendes Bruttoinlandsprodukt das Wohlbefindens­niveau nicht mehr weiter. Zum Wohlbefinden oder zur Lebensqualität zählen eben nicht nur Einkommen und Konsum, sondern auch Gesundheit, Freizeit oder soziale Kontakte.

Bedürfnisse befriedigen statt wecken

Renate Hübner meint dazu, die Wirtschaft solle wieder Bedürfnisse befriedigen und aufhören, immer neuen Bedarf zu wecken. Das Problem dabei: Weder die Unternehmen noch die Haushalte wissen über die eigentlichen Bedürfnisse Bescheid. Viele kaufen sich zum Beispiel ein Handy in dem Glauben, ihr Bedürfnis nach Kommunikation und Aufmerksamkeit damit befriedigen zu können.

Die falsche Strategie

Um die Problematik mit einem bekannten Spruch zusammenzufassen:

Die Menschen lassen sich dazu überreden, Geld auszugeben, das sie nicht besitzen, für Dinge, die sie nicht brauchen, um damit auf Menschen, die ihnen gleichgültig sind, einen Eindruck zu machen, der flüchtig ist.

Sind Konsumenten selbst schuld?

Sind Konsumenten selbst schuld?

Womit wir bei der leidigen Frage angekommen sind: Ist der Konsument nicht selbst schuld an dem ganzen Dilemma? Dieser Vorwurf wird gerne bemüht – für die Wirtschaft ist das ein willkommenes Argument, um sich von jeder Schuld reinzuwaschen. Der Konsument sei es ja, der immer mehr und immer billiger kaufen wolle, die Wirtschaft reagiere nur darauf. In den meisten Fällen sei das Ende der Lebensdauer eines Produktes nicht durch vorzeitig kaputt gegangene Teile bedingt, sondern dadurch, dass die Konsumenten unbedingt das neue Modell haben wollten, obwohl das alte noch voll funktionstüchtig sei – gemeint ist hier also nicht die technisch bedingte, sondern die psychologische Obsoleszenz.

Selten neue Möbel, häufig neue Autos

Der Wirtschaftspsychologe Univ.Prof. Eduard Brandstätter, Kepler Universität Linz, kann mit einem interessanten Vergleich aufwarten: Eine Essecke werde heute im Durchschnitt 21 Jahre lang genutzt; im Gegensatz dazu werde ein Auto im Schnitt alle drei Jahre getauscht. Sein Fazit: "Die Möbelindustrie hat es verabsäumt, neue Bedürfnisse zu we­cken, die Autoindustrie hat es hingegen geschafft, den Produktlebenszyklus drastisch zu reduzieren."

VW und die Langlebigkeit

Selbst die Marke VW, deren Image ja auf Langlebigkeit basiert, war auf diesem Gebiet sehr erfolgreich: War der Golf I noch 9 Jahre auf dem Markt (1974 – 1983) wurde der Golf VI schon nach vier Jahren ausgewechselt (2008 – 2012). "Das muss natürlich auch beworben werden, der Werbeaufwand steigt enorm“, so Brandstätter. In Deutschland wurden Brandstätter zufolge im Jahr 1992 noch 1.500 Werbespots im TV gezählt, 2008 waren es bereits 11.000. In Österreich sind die Werbeausgaben von 2 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 3,6 Milliarden Euro in 2012 gestiegen.

10 Mio € gegen 3,6 Mrd

Statussymbol SUV

Da drängt sich natürlich die Frage auf: Wenn es tatsächlich die Konsumenten sind, die ständig nach neuen Produkten verlangen, warum muss dann die Wirtschaft einen solchen Aufwand treiben, um ihre Kundschaft zum Kauf zu überreden? Warum müssen immer neue Bedürfnisse (als Beispiel: das Statussymbol SUV) geweckt werden? Offensichtlich, weil das eigentliche Bedürfnis – hier: jenes nach Fortbewegung – bei Weitem nicht ausreichen würde, um die Absatz­zahlen in solch schwindelnde Höhen zu treiben.

10 Millionen Euro gegen 3,6 Milliarden

Dazu eine Vergleichszahl: Der Verein für ­Konsumenteninformation (VKI) ist sozu­sagen der Gegenpol zur Werbewirtschaft – er versucht, den mit allen psychologischen Tricks operierenden Werbestrategen eine vernunftbetonte Information der Konsumenten entgegenzusetzen. Das Jahresbudget des VKI beläuft sich auf rund 10 Millionen Euro – das sind nicht einmal 3 Promille jener 3,6 Milliarden, die die Werbeindustrie investiert.

Zusammenfassung

  • Wachstum braucht auch Obsoleszenz. Bereits seit Jahrzehnten ist es üblich, die Produkt­lebensdauer gezielt zu reduzieren – sei es durch den Einbau von Schwachstellen, sei es durch geschickte Marketingmaßnahmen. Gerechtfertigt wird das damit, dass ein immerwährendes Wirtschaftswachstum nicht anders aufrechtzuerhalten sei.
  • Umdenken, bevor es zu spät ist. Wachstum als Selbstzweck führt in eine Sackgasse. Kritiker fordern ein Umdenken. Wohlergehen im weitesten Sinn ist das Ziel. Es umfasst viele Aspekte: Gesundheit, Freizeit, Kommunikation, intakte Natur.
  • Was brauche ich wirklich? Wohl jeder von uns hat sich schon über ein viel zu früh defekt gewordenes Produkt geärgert – und wird vermutlich auch in Zukunft immer wieder Gelegenheit dazu haben. In vielen Bereichen können wir uns aber dagegen wehren, indem wir als Spielverderber im Obsoleszenz-Spiel agieren: Kaufen wir keine Statussymbole, sondern funktionelle Produkte; lassen wir Defekte reparieren; nutzen wir Angebote zum Mieten, Teilen oder Tauschen ("Nutzen statt besitzen“).

Leserreaktionen

Auch teuer hält nicht lange

Ich kann leider nicht bestätigen, dass man bei einem teureren Produkt auch langlebigere Produkte kauft. So bei meinen Waschmaschinen. Zugegeben, ich wasche viel (5-Personen-Haushalt mit einem Intensivsportler) und habe circa 14 Maschinen pro Woche. Meine billigeren Waschmaschinen haben 4.000 bis 5.000 Schilling gekostet und hielten ohne Reparatur etwa fünf Jahre.

Vor acht Jahren ließ ich mich doch von einer teureren Waschmaschine überzeugen (eine Bosch WFX 160A), auch wegen des Angebots einer Art von Leasing. Ich zahlte 22,50 € auf 60 Monate. Ausschlaggebend war auch, dass jede Reparatur (bis auf Verschleißteile) innerhalb dieser 5 Jahre kostenlos sei. Nach sieben Jahren mussten die Kohlebürsten ersetzt werden, 250 € Reparaturkosten. Dieses Jahr habe ich festgestellt, dass die Wäsche nicht mehr sauber wird und bemerkte, dass sich die Trommel nur nach links dreht. Also den Kundendienst geholt. Dieser diagnostizierte, dass die Elektronik kaputt ist. Nur der Ersatzteil hätte schon 450 € gekostet.

Fazit: Eine Reparatur zahlt sich nicht mehr aus. Daher neige ich wieder dazu, eine billige Waschmaschine zu kaufen, und wenn diese nicht mehr funktioniert, dann kaufe ich eine neue. Umweltfreundlichkeit muss man sich leisten können. Ich kann es nicht.

Ingrid Helige
E-Mail
(aus KONSUMENT 10/2013)

Doch kundenfreundlich

Mein vor 2 Jahren und 2 Wochen um 399 € gekaufter Elektra Bregenz Geschirrspüler wurde defekt und musste von einer Servicefirma um 138 € repariert werden. Daraufhin habe ich mich an Elektra Bregenz gewandt, da mir der Verdacht nahe lag, dass es sich um eine der vielbesprochenen Sollbruchstellen handelt. Daraufhin hat mir die Servicefirma mitgeteilt, dass die Reparaturkosten von Elektra Bregenz übernommen werden, inzwischen habe ich das Geld zurückbekommen. Es hat sich doch gelohnt zu reklamieren!

Name der Redaktion bekannt
(aus KONSUMENT 10/2013)

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